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Rezension

Wilhelm Schlötterer: Macht und Missbrauch. Franz Josef Strauß und seine Nachfolger. Aufzeichnungen eines Ministerialbeamten.

Köln: Fackelträger Verlag 2009, ISBN 978-3-7716-4434-5, 412 Seiten. 22,95 Euro.

Auf dem Buchumschlag blickt Franz-Josef Strauß dem Betrachter mit vieldeutigem Gesichtsausdruck entgegen. Doch das Buch ist keine Strauß-Biographie; zynisch ausgedrückt, könnte man es vielmehr als Lehrbuch für Bestechung und Verfilzung, Begünstigung, Ämterpatronage und Amtsmissbrauch, Steuerbetrug und Strafvereitelung bezeichnen. Tatsächlich aber sind es die „Aufzeichnungen eines Ministerialbeamten“, der reale politische Verhältnisse im Freistaat Bayern wiedergibt. Diese Verhältnisse sind wesentlich mit Franz-Josef Strauß verbunden, der seit 1961 Vorsitzender der CSU und von 1978 bis zu seinem Tod 1988 bayerischer Ministerpräsident war. Die Darstellung reicht aber bis in die Gegenwart hinein. Nicht nur, aber auch weil die Repräsentanten der Staatsmacht in Bayern sich bislang unbeirrt darin zeigen, Franz-Josef Strauß als politisches Vorbild darzustellen, die Person als Übervater zu verehren, sein Handeln als segensreiches Wirken zu verklären.
Wilhelm Schlötterer ist einer, der es wissen muss: Von seinen 70 Lebensjahren hat er fast 30 Jahre als Staatsbeamter im Bayerischen Finanzministerium gedient. Als er 1975 in der Steuerabteilung des Ministeriums die Leitung eines Referats übernahm, das unter anderem für Erlass und Stundung von Steuern sowie Steuerfahndung zuständig war, merkte er bald, dass man ihn auf die „heikelste Schaltstelle im Freistaat Bayern“ (S. 37) gesetzt hatte. Da ging es um oft gravierende Fälle von Steuerhinterziehung und Steuerflucht in die Schweiz oder nach Liechtenstein – um „große Fische“, die zum Teil engste Beziehungen zu maßgeblichen Politikern der Regierungspartei unterhielten.
Schlötterer hielt über all die Jahre hinweg entschlossen daran fest, alle Steuerfälle in gleicher Weise nach Recht und Gesetz zu behandeln. Konsequent weigerte er sich, das widerrechtliche Handeln der politisch Verantwortlichen hinzunehmen oder gar zu decken. Wie ihm einmal zu Ohren kam, hätte Strauß dem korrekten Ministerialbeamten deshalb am liebsten „den Hals umgedreht“; er habe gewütet und gefordert, man solle Schlötterer aus dem Finanzministerium entfernen, für geisteskrank erklären und das in der Presse groß herausstellen. Wiederholt wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn angestrengt (und regelmäßig ergebnislos wieder eingestellt), es wurden anstehende Beförderungen (rechtswidrig) blockiert, Strafversetzungen (unzulässigerweise) angeordnet, Strafanträge angedroht und gestellt (aber jedes Mal abgewiesen).
Ein Fokus von Schlötterers Darstellung liegt auf dubiosen Geschäften, die Strauß zu seiner persönlichen Bereicherung betrieb. Wie der „Bäderkönig“ (und Steuerflüchtling) Eduard Zwick 1994 gegenüber dem „Spiegel“ angab, habe Strauß Geld in dreistelliger Millionenhöhe an der Steuer vorbei in die Schweiz gebracht. Bei mindestens sechs verschiedenen Schweizer Banken, so Schlötterer, habe Strauß über Konten
verfügt. In diesem Zusammenhang zitiert er den „Spiegel“, demzufolge Strauß „ein der Korruption schuldiger [Verteidigungs] Minister“ und „ein der Korruption schuldiger Ministerpräsident“ gewesen sei (S. 146).
In weiteren Kapiteln werden „Parteifreunde” vorgestellt, die dem Machtgebaren von Strauß-Nachfolger Edmund Stoiber zum Opfer fielen – etwa der CSU-Bundestagsabgeordnete Erich Riedl – sowie „Strafverfolger und Ermittler”, die sich in ihren Ermittlungen nicht beirren ließen – wie der Staatsanwalt Maier, Regierungsdirektor Fischer-Stabauer, Steueramtsrätin Meier und Kriminalhauptkommissar Brendel – und denen ein ähnliches Schicksal wie Schlötterer beschieden war. Das abschließende Kapitel „Waffenarsenal” bringt eine Analyse der Handlungsmuster, mit denen Regierungspolitiker typischerweise auf den Vorwurf reagieren, sie hätten rechtswidrig gehandelt. Der arglose Bürger solle die verschiedenen Angriffs- und Verteidigungsstrategien in ihrer Wirkung erkennen, so die Absicht des Autors.
Das Buch zeigt sachlich genau und unter Verzicht auf jegliche Polemik auf, wodurch die Regierungszeit von Strauß und seinen Nachfolgern wesentlich gekennzeichnet war: durch persönliche Raffgier, den Missbrauch des Staatsapparates für Partei- und persönliche Interessen und eine demokratiegefährdende Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien. Bemerkenswert: Der Autor selbst ist langjähriges Mitglied der CSU. Schlötterer ist überzeugt, dass gerade dieser Umstand seine persönliche Glaubwürdigkeit stärkt und seine Darstellung umso größere Wirkung erhält. In der CSU ist man bemüht, das Buch öffentlich totzuschweigen. Allerdings ohne Erfolg – wie mittlerweile 50 000 verkaufte Exemplare zeigen.

Heike Mayer

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers / der Verfasserin wieder.

Die Menschen haben ein Bedürnis, die Wahrheit zu erfahren - Ein Gespräch mit Ministerialrat a.D. Schlötterer, Scheinwerfer 46, Februar 2010.