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Rezension

Stephan Gneuß: Strafmildernde Selbstanzeige und Korruptionsbekämpfung. Eine rechtsökonomische Analyse.

Deutscher Universitätsverlag, Diss. Univ. Frankfurt a.M., 2002. ISBN 3824477564. 49,90 €

In seiner Dissertation untersucht der Verfasser in einer "rechtsökonomischen Analyse" die möglichen Auswirkungen einer mit Straferleichterung belohnten freiwilligen Selbstanzeige bei Korruptionsdelikten, wie sie z.B. aus dem Steuerrecht bereits bekannt ist. Gneuß knüpft damit an Empfehlungen des 61. Deutschen Juristentages an, der sich 1996 mehrheitlich für eine solche Regelung ausgesprochen hatte, die vom Gesetzgeber im Rahmen der Novellierung der Korruptionstatbestände des Strafgesetzbuches 1997 jedoch nicht übernommen worden ist.

Die Arbeit ist schon deshalb bemerkenswert, weil sie den Untersuchungsgegenstand nicht nur aus rechtspolitischer und strafrechtlicher, sondern auch aus ökonomischer Perspektive betrachtet und - als eigenständigen Schwerpunkt - eine experimentelle Analyse der Korruption und der Selbstanzeige anhand eines spieltheoretischen Modells vorlegt.

In einem ersten Kapitel stellt der Verfasser Bedeutung und Ausmaß der Korruption (in Deutschland) dar und kommt zu dem Schluss, dass angesichts der großen statistischen Unsicherheiten ein rückläufiger Trend bei Korruptionsdelikten - etwa aufgrund verschärfter Gesetze - nicht festzustellen sei.

Im zweiten Hauptkapitel analysiert Gneuß die strafrechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. An dessen Anfang stellt er die Frage, welche Maßnahmen - außer dem Strafrecht und seiner zweifelhaften generalpräventiven Wirkung - sonst noch geeignet sein könnten, der Korruption entgegenzuwirken. Genannt werden die "Steigerung der Entdeckungswahrscheinlichkeit", Schulungen mit dem Ziel der Sensibilisierung über die Rechtsfolgen, Verbesserung der Kontrolldichte, Personalrotation u.a. In diesem Zusammenhang erwähnt der Verfasser zwar die auf diesen Bereich speziell ausgerichteten Unternehmensberatungen, glaubt aber andererseits feststellen zu können, dass sich die "Thematisierung der Korruptionsproblematik primär auf den staatlichen Bereich konzentriere", während dergleichen im nicht öffentlichen Bereich kaum ausgemacht werden könne. Auch wenn man - wie TI - die Anstrengungen der Privatwirtschaft zur Korruptionsprävention noch nicht annähernd für ausreichend hält: Hier wird man dem Verfasser kaum folgen können.

Neben der umfassenden Darstellung aller relevanten Strafvorschriften sowie des Steuer- und des Dienstrechts nimmt in diesem Kapitel den größten Raum die Erörterung der strafmildernden Selbstanzeige sowie der ihr ähnlichen gesetzlichen

Regelungen (Kronzeugenregelungen, Amnestiegesetze, Strafprozessordnung) ein, die der Autor dem Leser in ihren durchaus unterschiedlichen Wirkungsmechanismen verständlich macht.

Die für den Juristen nicht immer leicht nachzuvollziehende ökonomische Analyse der Korruption ist Gegenstand des 4. Kapitels. Zentrale Fragestellung ist die Untersuchung der relativen Abschreckungs- bzw. Kosten-Effizienz der Strafverfolgungsparameter "Strafmaß" und "Entdeckungswahrscheinlichkeit". Da eine Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit (z.B. durch Verstärkung von Kontrollen) hohe Kosten verursache, mit der kostengünstigeren Alternative "Erhöhung des Strafrahmens" die Entdeckung aber nicht wahrscheinlicher werde kommt nach Meinung des Verfassers der Selbstanzeige als Instrument der Korruptionsbekämpfung besondere Bedeutung zu. Allerdings steht ihren Kostenvorteilen der Nachteil gegenüber, dass durch die zugesagten Strafminderungen der Anreiz zu Rechtsverletzungen zunehmen kann. Wegen der "strategischen Interdependenz" zwischen den Straftätern tritt dieser Nachteil indessen nicht zwingend ein, weil bei der Normalstruktur der Korruptionsdelikte (2 Täter) jeder der Täter damit rechnen muss, dass der andere die Tat durch Selbstanzeige offenbart und seinen Partner damit zwangsläufig "ans Messer liefert".

Das zentrale 5. Kapitel der Arbeit schildert ein vom Verfasser selbst geplantes und durchgeführtes Experiment zur Analyse der Auswirkung einer strafmildernden Selbstanzeige auf das Korruptionsniveau, dessen komplexe Details hier nicht wiedergegeben werden können. Ziel des Experiments war es, zu überprüfen, ob die "strategische Interdependenz der Täter" die Vorteile der Straferleichterung erhöhen kann, weil jeder Rechtsverletzer annehmen muss, dass im Falle der Selbstanzeige eines Komplizen die eigene Rechtsverletzung entdeckt wird, oder ob diesem positiven Effekt auch Restriktionen gegenüberstehen.

Als wesentliches Ergebnis berichtet der Verfasser, dass "von der Einführung einer Selbstanzeige insgesamt kein signifikanter Einfluss auf das Korruptionsniveau ausgeht". Dies führt er darauf zurück, dass die Probanden die Auswirkungen der "strategischen Interdependenz" auf das Entdekkungsrisiko falsch einschätzen, indem sie die Entdeckungswahrscheinlichkeit unterschätzen. Der Gefahr, dass damit die Effizienz einer gesetzlich geregelten Selbstanzeige letztendlich in Frage gestellt würde, meint der Verfasser mit der Empfehlung begegnen zu können, der Gesetzgeber möge dem eine "entsprechende Informationspolitik" entgegensetzen.

Trotz dieses im Ergebnis wenig überzeugenden Experiments sieht der Verfasser hinreichend Gründe, für die Einführung der strafmildernden Selbstanzeige zu plädieren und ihr im Vergleich zu anderen Instrumenten - wie etwa der Kronzeugenregelung - den Vorzug zu geben. Angesichts einer allem Anschein nach extrem niedrigen Aufdekkungsquote von Korruptionsdelikten und der immerhin möglichen, wenn auch nicht signifikanten Abschreckungswirkung der "strategischen Interdependenz" kann man dem aus rechtspolitischer Sicht durchaus zustimmen.