Publikationen
Rezension

Nathalie Behnke: Ethik in Politik und Verwaltung - Entstehung und Funktion ethischer Normen in Deutschland und den USA

Nomos Verlag, Baden-Baden 2004, 276 S., 49,- €

Die Dissertationsschrift Nathalie Behnkes, eingereicht im Jahr 2002 an der Fernuniversität Hagen, wird mit diesem Buch veröffentlicht. Behnke analysiert in dieser Arbeit, welchen Zweck ethische Normen und daraus resultierende Maßnahmen im staatlich-gesellschaftlichen Bereich erfüllen. Sie greift dabei auf die Agenturentheorie (Prinzipal-Agent-Ansatz) zurück, die ursprünglich aus der Rechtstheorie stammt und heute in der Neuen Institutionenökonomik zum Einsatz kommt. Nach diesem Ansatz wird die Beziehung von Wählern und Abgeordneten, Parlament und Regierung, sowie Regierung und Verwaltung vertragstheoretisch als Vertretungsverhältnis modelliert.

In den modernen, hoch ausdifferenzierten Gesellschaften, in denen informelle soziale Normen zur Verhaltenskontrolle immer weniger geeignet sind, sollen zunehmend formal festgelegte Normen unterschiedliche Interessen eben genannter Beziehungsteilnehmer regeln sowie Informationsun­gleich­ge­wich­te und Kontrollprobleme lösen.

In einer Zwei-Länder-Fallstudie untersucht Behnke die „Ethik-Infrastruktur“ in den USA und Deutschland, wobei sie vor allem gesetzliche Regelungen sowie Spielräume der Akteure im parlamentarischen wie Regierungsumfeld analysiert. Hierbei finden die Ergebnisse aus zehn Interviews Eingang, die Behnke mit Mitarbeitern aus Parlamentsverwaltung, Kontrollinstitutionen und Ethikorganen in den USA und Deutschland geführt hat.

Welche Rolle vor allem die Medien, aber auch die Organe der Judikative, Wirtschafts- und Verbandsakteure und Nichtregierungsorganisationen bei der Entstehung, Durchsetzung und Kontrolle von Normen spielen, bleibt aber weitgehend unerwähnt.

Dabei stellt Behnke verschiedene Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Ländern fest. Unterschiedlich sei z. B., dass sich Ethikmaßnahmen in Deutschland mehr an einer Korruptionsbekämpfung orientierten, in den USA mehr an der Vermeidung von Interessenkonflikten. Ethiktrainings gehören in den USA schon zum Alltag.

Transparenzmaßnahmen sowie Regelungen zur Informationsfreiheit seien in den USA weiter fortgeschritten, Ethikkodizes und Eide auch für Parlamentsmitglieder üblich. Mit vielen der ethischen Maßnahmen würden die gewählten Vertreter im Parlament der Wählerschaft ihre moralische Integrität signalisieren wollen. Gerade weil das Wahlsystem in den USA stark auf Persönlichkeitswahlrecht basiert, würden die Kandidaten in eine Wettbewerbsspirale „Wer die besten ethischen Maßnamen fordert und umsetzt“ geraten, die zu einer Überregulierung geführt hätte, so dass es nahezu unmöglich sei, nicht gegen irgendwelche Regeln zu verstoßen.

Bis hierhin liefert Behnke eine lesenswerte Arbeit auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Ihre abschließenden Folgerungen geraten allerdings in eine gefährliche Schieflage:

Aufgrund der evtl. Überregulierung von Ethikmaßnahmen bei den Abgeordneten in den USA spekuliert Behnke, dass es einen Grenzertrag gäbe, ab dem weitere Ethikmaßnahmen aufgrund vermehrter Skandale und Ignoranztendenzen zu einem Abfall ethischen Verhaltens führen würden. Dies stellt sie als mögliche allgemeine Gesetzmäßigkeit dar und suggeriert, dass dies als Faktum allgemein auf andere Länder übertragbar sei.

Diese Vermutung und Übertragung birgt schwerwiegende Unzulässigkeiten:

  1. Bei der Betrachtung eines oder zweier Länder, die zudem im Corruption Perception Index (CPI) beständig Nachbarpositionen einnehmen (Deutschland: Ränge 13-20 und USA: Ränge 14-18) verbietet sich eine Verallgemeinerung auf andere Länder. Jedes Land bietet mit einer Vielfalt an kulturellen, politischen und staatsstrukturellen Charakteristika Unterschiede, die einer Verallgemeinerung allein aus zwei Fallstudien heraus nicht standhalten.
  2. Wenn es eben erwähnten Grenzertrag gäbe, wie erklärt sich dann Behnke, dass es vor allem mit den skandinavischen Ländern Vertreter im CPI gibt, die zum Teil mit der Höchstnote 10,0 (annähende) Korruptionsfreiheit erreichen?
  3. Zudem muss bei der Aussage eines Grenznutzen unbedingt die Qualität von Ethikmaßnahmen und nicht die Quantität ins Spiel gebracht werden. Eine andere Qualität von Maßnahmen kann nämlich zu völlig anderen Ergebnissen führen.
  4. Den empirisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen Erfolg und Nichterfolg „zu vieler“ Ethikmaßnahmen in Bezug auf korruptives Verhalten erbringt Behnke nicht. Dabei verharrt die USA im CPI über 10 Jahre hinweg ohne besondere Schwankung um einen Mittelwert von 7,6.

Aus diesen Gründen muss davon abgeraten werden, Behnkes Werk als Ratgeber bei der Korruptionsbekämpfung zu betrachten. Aus dem Einzelfall in den USA lässt sich eher der Schluss ziehen, dass die Abgeordnetenregeln vernünftig angegangen werden sollten, anstatt generalisierend anzunehmen, mehr Regeln bringen beim Kampf gegen Korruption das gegenteilige Ergebnis. Solch ein empirisch nicht belegter Fehlschluss birgt die Gefahr, dass Behnkes Thesen von all jenen jubelnd aufgenommen werden, die über eine kosmetische Korrektur bei der Korruptionsbekämpfung nicht hinausgehen wollen, dazu aber sehr gerne auf „wissenschaftlichen Sachverstand“ als Alibi zurückgreifen wollen.

Behnke hätte gut daran getan, die „Axt im Walde zu lassen“, anstatt in von ihr unerforschtem Terrain ggf. Schaden anzurichten. Dann wäre ihre Arbeit bis zuletzt eine gute geblieben.