Publikationen
Rezension

Manfred Schneider: "Transparenztraum. Literatur, Politik, Medien und das Unmögliche"

Berlin: Matthes & Seitz 2013, ISBN: 978-3-88221-082-8, 342 Seiten. 19,90 Euro

Auch ein Buch wie dieses gehört in die Bibliothek von Menschen, die sich systematisch mit Korruption befassen! Manfred Schneider, ein 70-jähriger Professor, der zuletzt einen Lehrstuhl für Neugermanistik, Ästhetik und Medien
in Bochum innehatte, hat sich zunächst darüber gewundert, dass das Wort „Transparenz“ in den letzten Jahren zum Star unter den Modewörtern wurde. Er nennt es einen „semantischen global player“ und geht der Wort- und Begriffsgeschichte in Europa seit der Antike nach. Das ist deswegen interessant, weil die Argumentationen für Transparenz als Heilmittel gegen Korruption sich die philosophische Grundlage des Transparenzbegriffs kaum bewusst machen. Seit der römischen Antike und der mittelalterlichen Scholastik wird das Durchsichtige, Transparente, gewissermaßen Materielose so bewertet, als sei es ein Wert an sich, dem sich alles Undurchdringliche, strategisch  Verhüllte, politisch Verborgene füge oder fügen müsse. Zunächst überwiegend virtuell und als Denkfigur.

Aber in der Philosophie- und Geistesgeschichte,  befeuert durch Denker wie Descartes und Rousseau, wird der Transparenztraum gegenständlicher: „gläserne Körper, lesbare Herzen“. Alles Dunkle, Undurchsichtige scheint böse, das Lichte, Helle, Durchsichtige hingegen harmonisch, aufgeklärt, gut. Mit der Französischen Revolution wird der Transparenztraum zur politischen Theorie. Unter Robespierre entartet er aber rasch ins Diktatorische, in einen Transparenzterrorismus. Und seither bekommt der Transparenztraum etwas Ambivalentes: einerseits werden im späten 19. Jahrhundert und danach soziale Utopien in gläserner Architektur Gestalt, und durch Sigmund Freud werden Durchblicke ins Unbewusste möglich. Andererseits mehren sich die „Transparenzschrecken“ durch diktatorische Eingriffe in die individuelle Selbstbestimmung, neuerdings durch Geheimdienste und elektronische  Schnüffeleien oder durch die Hirnleser unserer Tage mit ihren Personenprofilen,
die das Individuum zum Objekt für Absatzstrategien machen.

Das Buch liest sich gut, weil es keinen Fachjargon benutzt, die historischen Ableitungen sind gut belegt. Höchst nachdenkenswert ist das Nietzsche-Zitat zum Schluss: „Weil Etwas für uns durchsichtig geworden ist, meinen wir, es könne uns nunmehr keinen Widerstand leisten – und sind dann erstaunt, dass wir hindurchsehen und doch nicht hindurch können! Es ist diess die selbe Thorheit und das selbe Erstaunen, in welches die Fliege vor jedem Glasfenster geräth“.

Anke Martiny

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