Publikationen
Rezension

Klaus Mertes: Widerspruch aus Loyalität

Echter Verlag GmbH Würzburg: 2009. ISBN 978-3-429-03172-5. 75 Seiten. 6,30 Euro.

Welch Umkehrung! Öffentliches Whistleblowing mit Loyalität zu begründen, dies grenzt auf den ersten Blick an die Quadratur des Kreises. Dieses Kunststück gelang dem Jesuiten Klaus Mertes mit seinem nur 75 Seiten umfassenden Büchlein schon 2009 in aller Stille. Mertes war nur für kurze Zeit Rektor des Berliner Canisius-Seminars. Durch die Öffentlichmachung der Missbrauchsfälle an seiner Schule hat er nicht nur die Weltmacht Katholische Kirche herausgefordert. Mertes hat eine Welle von Aufdeckungen sexuellen Missbrauchs junger Menschen an vielen Bildungseinrichtungen ausgelöst.
Eine Ethik des Whistleblowing ist dringend vonnöten. Whistleblowing braucht ein hohes Maß innerer Stärke. Das können alle bestätigen, die mit der Entscheidung zu diesem Weg schon einmal gerungen haben.
Mertes schält aus biblischer Analyse heraus, warum rechte Loyalität über die bornierten Grenzen einer Gruppe, Institution oder Firma hinausgehen muss. „Loyales Schweigen“ auf Kosten anderer ist Kumpanei pur. Whistleblower haben die Gemeinschaft Aller und damit auch die Opfer im Blick. Korruption hat immer Opfer. Diese Sicht bestärkt sie, die Angst vor Strafe und vor der Verurteilung durch die Bezugsgruppe zu überwinden. Der Autor zeichnet filigran das Innenleben des Whistleblowers: Am Anfang steht Selbstkritik, ausgelöst durch „konkrete Erfahrung, die mit Schmerzen verbunden ist“. „Widerständler müssen erkennen, dass sie selbst mitgewirkt haben an den Zuständen, die sie jetzt bekämpfen“ (S. 36/37). „Loyale Kritik fürchtet die Strafe nicht, weil das Mitleid die Angst überwindet“ (S. 46). „Der Widerspruch entwickelt nur dann seine volle Kraft, wenn er zu rechten Zeit ausgesprochen wird“ (S. 70).
Mertes rät zu sensitivem Vorgehen. Anlässe, die Verdächtigungen nicht rechtfertigen, und leichtfertige Verdächtigungen müssen außen vor bleiben. „Wer die innere Gesinnung und Lauterkeit des anderen verdächtigend in Frage stellt, muss den Grund anführen, warum er dies tut“ (S. 69). Der loyale Widerspruch sollte sich im Wohlwollen dem gegenüber äußern, gegen den er sich richtet. Aber auch der Christ Klaus Mertes gesteht zu: „Manchmal gibt es jedoch erst Versöhnung im Himmel.“ „Widerspruch aus Loyalität ist ein Dienst an jeder Gemeinschaft, die lebendig bleiben will“ (S. 75). Die juristische Diskussion in Deutschland über den dringend gebotenen Schutz von Whistleblowing im Interesse des Gemeinwohls Aller ist gerade erst in Gang gekommen. Die Ethik von Whistleblowing steht deshalb auf der Tagesordnung.

(Gerd Scheermaier)

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