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Rezension

Frank Bajohr, Parvenüs und Profiteure - Korruption in der NS Zeit

S. Fischer 2001, 256 S., ca. 23,00 Euro.

Unser Land hält sich für soweit vorbildlich, dass wir unsere Politiker und Berater in alle Welt schicken, um dort zu erklären, "wie es richtig gemacht wird."

Beim Thema Korruption sollten wir allerdings besser vorsichtig sein. Aus der Perspektive sauberer Länder fallen wir als eher korrupt auf: Der erste massive Fall von Korruption, den die norwegische Sp ezialermittlergruppe vor rund 10 Jahren aufdecken konnte, ging von einem deutschen Großunternehmen aus. Es ist also nicht so, dass wir uns immer nur den angeblichen Sitten vor Ort anpassen ...

Und in historischer Perspektive haben wir einen Augiasstall der Korruption gerade mal zwei Generationen hinter uns. Dies mit einiger wissenschaftlicher Akribie (691 Fußnoten, Sach- und Personenverzeichnis) und dabei leicht lesbar wieder ins Bewusstsein gerückt zu haben, ist Verdienst von Frank Bajohr und seinem Buch "Parvenüs und Profiteure - Korruption in der NS Zeit".

Der Autor weist drei charakteristische Formen der Korruption nach. Es gab seit der Übergabe der Regierungsgewalt an die Faschisten eine institutionalisierte Korruption, die dazu diente, Parteimitglieder und "alte Kämpfer" mit Pfründen oder jedenfalls besonderen Vergünstigungen zu versorgen. Diese Korruption war für das System quasi konstitutiv und beruhte hinsichtlich der Verteilungsmasse in hohem Maße auf der Enteignung und Vertreibung der Bürger jüdischer Herkunft in den Jahren vor dem Krieg.

Sodann gab es eine Form der Korruption, die sich am deutlichsten im Schwarzmarktwesen äußerte. Diese wurde naturgemäß eher toleriert, als gefördert. Sie hatte ihre Ursachen allerdings in der Kriegswirtschaft, die riesige Ressourcen fraß, während gleichzeitig die neuen Statthalter der Macht in den eroberten Gebieten, wie kleine Könige leben wollten und die meisten höheren Funktionsträger ein materielles Günstlingswesen von oben nach unten einführten. Tatsächlich wurde damit schnell mehr ausgegeben, als bei denkbar schärfster Plünderung der Gebiete verfügbar war. Dies führte zu einem inflationären Kreislauf schwarzer Märkte für Waren und Dienstleistungen gegen Schweigen, Dienste und Geld.

Schließlich entstand naturgemäß im gleichen gleichen Maße eine Form der Korruption, die sich auch gegen die NSDAP selbst richtete, u.a. Plünderung der Parteikassen und dergleichen. Während aber die Einrichtung und Nutzung schwarzer Kassen zum Zwecke der Finanzierung des Günstlingswesen noch eher gefördert wurde, wurden zwischen 1934 und 1941 mehr als 10.000 Strafverfahren gegen Parteimitglieder eingeleitet, die sich am Parteivermögen vergriffen hatten - wo immer nun letzteres genau herkam und ohne dass sich angesichts des korrupten Gesamtsystems damit eine nennenswerte Besserung einstellen konnte.

Am Höhepunkt des Krieges war das Volk zur Beutegemeinschaft geworden, dass ungeniert zur Schadlosstellung Ausgebombter nach jüdischem Vermögen rief. Seit 1933 war das Parteibuch Freibrief zur persönlichen Bereicherung. Gepaart mit dem verbreiteten Rassismus entstand ein politisch unkontrolliertes "Herrenmenschentum" der Selbstbedienung, Erpressung und Plünderung, dem sich weite Teile der Bevölkerung anschlossen. So lautet der letzte Satz des Buches:

"Begreift man die NS-Herrschaft nicht als Diktatur von oben nach unten, sondern als soziale Praxis, an der die deutsche Gesellschaft in vielfältiger Weise beteiligt war, dann verschränkte die Korruption Herrschaft und Gesellschaft miteinander, verstrickten sich auch viele "ganz normale Deutsche" durch Bereicherung in die nationalsozialistische Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik."

Dies wird übrigens weiter bestätigt durch die Ausstellung des Stadtmuseums Düsseldorf, die in einer Auswahl und Dokumentation von Wolfgang Dreßen 1998 unter dem Titel "Betrifft Aktion 3 - Deutsche verwerten jüdische Nachbarn" im Aufbau Verlag erschien und in wenig appetitlicher Weise zeigt, welches Anspruchsdenken und welche Selbstgerechtigkeit von "rechtschaffenen" Bürgern bei der Erlangung kleiner materieller Vorteile an den Tag gelegt wurden - statt die Plünderung und den Mord an ihren Mitbürgern zu verhindern.

Auch heute gibt es natürlich die Gefahr, sich derartig zu verstricken, jedenfalls wenn wir etwas globaler denken. Die Selbstbedienungsmentalität, aufgrund vermeintlicher Verdienste mit dem Gehalt noch nicht ausreichend alimentiert zu sein, scheint mir stets eine Wurzel der Korruption.

Einen positiven Gedanken ziehe ich aber aus dem besprochenen Buch: Wir haben es in nur zwei Generationen aus derartigen Zuständen soweit geschafft, dass unsere Berater in der Welt gehört werden. Dies haben wir wohl dem quasi unbegrenzten Vertrauen und guten Willen unserer "Aufbauberater" nach 1945 zu verdanken. Ich wünsche mir, dass ein paar der Länder, die wir heute wie Kamerun und Bangladesch am Ende der Skala sehen, ebensolche Bedingungen erhalten und in ein paar Jahrzehnten die Welt beraten können. Wenn wir das angesichts unserer eigenen Geschichte für möglich halten können, ist schon viel geholfen.

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