Publikationen
Rezension

François Jean und Jean Christophe Rufin (Hrsg.): "Ökonomie der Bürgerkriege."

Verlag Hamburger Ed., 1999. 478 S., 68,-DM. ISBN: 3- 930908-46-8

Der Sündenfall liegt ein Vierteljahrhundert zurück. Mit Hilfsgütern voll beladene Schiffe stauten sich im Roten Meer. Da kam der äthiopische Diktator Mengistu Haile Mariam auf die Idee, für den Transport der Güter ins Hochland, wo die vom Verhungern bedrohte Bevölkerung verzweifelt wartete, Zoll zu verlangen. Und zwar zusätzlich zu der bereits getroffenen Vereinbarung, dass die benötigten Lastwagen, technischen Ausstattungen und Notunterkünfte einschließlich der Feldlazarette, Reparaturwerkstätten, Wasseraufbereitungs- und Brunnenbohranlagen ohnehin nach dem Einsatz im Lande verbleiben sollten. Nach anfänglichem Sträuben und einigem Hin und Her wurde von den Hilfsorganisationen zähneknirschend der Wegezoll entrichtet. Und so ist es bis heute geblieben. Mehr oder weniger diktatorische Regierungen ebenso wie größere und kleinere Kriegsherren und Bandenführer sahnen bei internationalen Hilfseinsätzen in Krisengebiete kräftig ab. Exorbitante Einfuhr- und Wegezölle, ebenso wie überhöhte Hafen-, Lager-, Transport- und Visagebühren sind selbstredend in harter Währung zu bezahlen. Ein künstlich hoch gehaltener Wechselkurs sorgt für zusätzlichen Profit. Dazu kommt ein nicht unbeträchtlicher Anteil an konfiszierten Fahrzeugen und geplünderten Hilfsgütern sowie hohe Beträge für Wachmannschaften und Schutz-Eskorten, die sich just aus den Leuten zusammensetzen, die für die Kriegshandlungen verantwortlich sind. Auf diese Weise werden Bürgerkriege durch humanitäre Hilfe finanziell gefördert.

Schonungslose Analyse

All dies ist in Fachkreisen seit langem bekannt. Merkwürdigerweise wird wenig darüber berichtet und man hört auch nicht, dass viel gegen den Missbrauch unternommen würde. In dem bisher von der Öffentlichkeit wenig beachteten Sammelband "Ökonomie der Bürgerkriege" legen die zwei französischen Herausgeber François Jean und Jean Christophe Rufin schonungslos den Finger in die Wunde. "Das humanitäre Schutzgebiet stellt eine echte Revolution für die Kriegsökonomien dar", konstatiert Rufin und er fährt fort: "Die Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung in den Flüchtlingslagern alimentieren die Kriegsökonomie und stärken die bewaffneten Bewegungen. In einigen Kriegen haben sich so dauerhafte Ökonomien ohne Produktionsbasis entwickelt, die vollständig von Hilfsleistungen abhängig sind und in denen die bewaffneten Bewegungen sich dadurch uneingeschränkte Macht sichern konnten, dass sie das Distributionsnetz kontrollieren". François Jean ergänzt an anderer Stelle des Buches nicht ohne Ironie: "Die wichtigste Eigenschaft humanitärer Hilfe ist, dass sie Ländern im Krieg Ressourcen zuführt".

Seriöse Autoren

Diese verstörenden Behauptungen werden in dem Buch anhand von vier Sachbeiträgen und neun Fallstudien aus Bürgerkriegsländern minutiös belegt. An der Seriosität der Herausgeber und Autoren kann es keinen Zweifel geben. François Jean ist wissenschaftlicher Leiter der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" und Jean Christophe Rufin ist Forschungsdirektor am französischen "Institut des relations internationales et stratégiques".

Erstaunlich ist, dass die Schattenseiten der humanitären Hilfe so wenig in der Öffentlichkeit beachtet werden. Es gibt einige "wissenschaftlich abgehobene" Besprechungen des Buches. In Fachkreisen wird die Thematik verstärkt seit dem Ruanda-Kongo-Desaster diskutiert. All das blieb jedoch offensichtlich ohne Folgerungen. Man wundert sich, wo der Aufschrei der Hilfsorganisationen bleibt, und warum sich die Medien nicht um diesen Missbrauch kümmern?

Hilfe für die Falschen?

Schutzgelder und Zölle, Bedrohung und Erpressung, Nepotismus bei der Einstellung von lokalem Hilfspersonal, die erwähnten Sicherheitseskorten, direkte Bestechung: All das ist Korruption, die nicht dadurch ihre kriminelle Eigenschaft verliert, dass sie im Namen humanitärer Hilfe ausgeübt wird. Freilich kann im Ausnahmefall einmal der Zweck die Mittel heiligen. Hier scheint es sich aber eher um das übliche Procedere zu handeln. Kann es denn sein, dass die Helfer vor lauter Eifer (oder geht es um Konkurrenzangst, Umsätze und Arbeitsplatzsicherung?) nicht mehr so genau hinsehen, für wen sie sich einspannen lassen? Es wird Zeit, dass die Hilfsorganisationen Druck machen und gemeinsam mit der Politik dieses dieses heiße Eisen endlich einmal anfassen, sonst steht ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.