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Rezension

Thomas Kliche und Stephanie Thiel (Hg.): Korruption. Forschungsstand, Prävention, Probleme

Pabst, Lengerich 2011, 539 S., 50 Euro

Der von Thomas Kliche und Stephanie Thiel vorgelegte Sammelband "Korruption. Forschungsstand, Prävention, Probleme" zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass inzwischen alle deutschen Sozialwissenschaften das Thema Korruption aufgriffen haben, auch solche, die sich vornehmlich mit Individualansätzen beschäftigen wie die Psychologie. Die multiparadigmatische Herangehensweise der einzelnen Beiträge hinterlässt ein interessantes, buntes, aber auch heterogenes Bild, das sich kaum zu einem Gesamteindruck zusammenfassen lässt. Daher eignet sich das über 500 Seiten starke Buch weniger als kohärente Einstiegslektüre, sondern eher als Möglichkeit, einen Überblick über die deutsche Korruptionsforschung zu gewinnen. Den Herausgebern ist es gelungen, neben den üblichen zusammenfassenden Erörterungen von bereits bestehenden Theorie- oder Forschungsergebnissen eine Reihe origineller Beiträge zusammenzutragen, die eine neue Perspektive auf das Korruptionsphänomen andeuten. Dazu gehören etwa Aufsätze über psychische Eigenschaften (Ambivalenz, Integrität, S. 23) oder Motive korrupter Individuen (S. 53) genauso wie ein Beitrag, der Korruption ganz ohne Akteure erklären will (S. 197). Im Vergleich zu früheren Sammelbänden fällt die Fülle empirischer Korruptionsuntersuchungen ins Auge. Auch wenn die meisten empirischen Beiträge vornehmlich auf bereits vor längerer Zeit durchgeführte Studien verweisen, so wird deutlich, dass Fragestellungen zu Korruptionsproblematiken doch zunehmend einer empirischen Prüfung unterzogen werden sollen. Die Bandbreite der angewendeten empirischen Methoden folgt der theoretischen Vielfalt der Korruptionsforschung: Dazu gehören neben Befragungen oder Fallanalysen beispielsweise Unternehmensplanspiele (S. 361) oder experimentelle Versuchsanordnungen (S. 382). Auch Nachbarphänomene wie die Schattenwirtschaft werden nun häufig mit dem Korruptionsniveau eines Landes in Beziehung gesetzt (S. 219).

Man muss den Editoren sehr zugutehalten, dass sie in ihren Beiträgen (insbesondere der Einleitung und in ihrem Artikel über "Empirische Korruptionsforschung") versucht haben, die Heterogenität der Ideen und Ansätze zu systematisieren. Hier findet der Leser, der nicht an bestimmten Detailfragen interessiert ist, eine hervorragende Übersicht über die wissenschaftlichen Problematiken, die mit Korruption verbunden sind (S. 11), und über die Schwierigkeiten, die sich bei der empirischen Prüfung konkreter Fragestellungen stellen (S. 411). Ob die einzelnen Beiträge allerdings tatsächlich immer auf das gleiche Phänomen zielen, bleibt offen. Man sollte also eine interdisziplinäre Offenheit bei der Lektüre des Buches mitbringen, denn was Korruption in den einzelnen Wissenschaften genau ausmacht, erfährt man nur selten.

Peter Graeff

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