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Internationaler Sport: Kommt die Reform oder die Revolution?

Berlin, 22.07.2021 – Kommentar von Sylvia Schenk, Sport-Expertin von Transparency Deutschland

© Ryunosuke Kikuno / Unsplash

Dieser Artikel ist ursprünglich im Scheinwerfer 91 (S. 5) im Juni 2021 erschienen.

Die Sportwelt ist im Umbruch: Athlet*innen begehren auf und fordern Meinungsfreiheit auch in den Arenen. Fans verscheuchen mit massiven Protesten innerhalb von zwei Tagen den Spuk einer abgeschotteten europäischen Super League und setzen damit ein starkes Zeichen gegen den Vorrang des Geldes im Fußball. Veranstalter von nationalen Ligen und internationalen Großevents kämpfen gegen das Corona-Virus und dessen existentielle Konsequenzen für ihr Business-Modell – mit ungewissem Ausgang.

Währenddessen sind die Funktionäre (und wenigen Funktionärinnen) in den internationalen Sportorganisationen anderweitig beschäftigt:

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Féderation Internationale de Football Association (FIFA) bleiben in Debatten um Menschenrechte und Transparenz in der Defensive. Sexualisierte Gewalt und Missbrauch im Sport sind mit einer Vielzahl von erschütternden Fällen, zum Beispiel im Turnen in den USA, auf die internationale Agenda gerückt, ohne dass die Verbände auf breiter Ebene bislang adäquate Antworten gefunden haben. In Sportarten wie Tischtennis, Gewichtheben, Skisport, Boxen und Segeln gab bzw. gibt es ein Hauen und Stechen um das Präsidentenamt und sonstige Positionen, meist nach vorangegangenen massiven Doping- und/oder Governance-Problemen.

National stehen zum Beispiel der Deutsche Schwimmverband und die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft dem nicht nach. Vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) in diesem Zusammenhang gar nicht zu reden – er hat sich selbst in einem Maße zerlegt, dass alle Welt zwischen Ungläubigkeit und Mitleid schwankt, die Verantwortlichen, so sie denn noch nicht zurückgetreten sind, aber nicht mehr ernst nehmen kann.

Die Dynamik wird den Sport grundlegend verändern

Der Reformbedarf im Sport hat den „Tipping Point“ erreicht, fast riecht es gar nach Revolution. Die Dynamik, die viele gesellschaftliche Bereiche erfasst hat, wird auch den Sport grundlegend verändern. IOC-Präsident Thomas Bach hat zu Beginn seiner Amtszeit 2013/2014 die Formel „To change or be changed“ geprägt und mit der IOC Agenda 2020 vorsichtige Schritte zur Veränderung eingeleitet. Diese sind inzwischen längst von der weltweiten Entwicklung außerhalb des Sports überholt.

Auch die im März 2021 erfolgte Fortschreibung "IOC Agenda 2020+5". bis zum satzungsgemäßen Ausscheiden Bachs 2025 zeigt zwar gute Ansätze, bleibt aber hinter den globalen Herausforderungen zurück. Klare Aussagen zur menschenrechtlichen Verantwortung des IOC, der Internationalen Föderationen (IF – d.h. die internationalen Sportverbände) und Nationalen Olympischen Komitees (NOK) sucht man vergebens. Ebenso werden die drängenden Governance-Fragen im internationalen Sport nur zurückhaltend angesprochen.

Aber vielleicht lassen sich solche grundlegenden Themen „von oben“, d.h. mit dem IOC als Initiator, nur schwer in Angriff nehmen. Letztlich müssen die zu behebenden Defizite zumindest auch aus nationaler Sicht angegangen, das IOC entweder breit unterstützt oder durch Druck aus den eigenen Reihen vorangetrieben werden. Doch derartige Initiativen seitens der IF und NOK gibt es allenfalls vereinzelt.

Zivilgesellschaft ist aktiv geworden – und erfolgreich

Stattdessen ist in den vergangenen Jahren die internationale Zivilgesellschaft aktiv geworden: Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, Football Supporters Europe, World Players Association mit der Fußball-Profi-Gewerkschaft FIFPro, das Committee to Protect Journalists und die International Trade Union Corporation haben mit Transparency Deutschland 2014 im Berliner Büro die Sport and Rights Alliance (SRA) ins Leben gerufen. Sie setzen sich seitdem gemeinsam für Menschenrechte und gegen Korruption im internationalen Sport ein. Mit der Gründung des Centre for Sport and Human Rights (CSHR) 2018 in Genf wurde ein wichtiges Etappenziel der SRA erreicht. Das CSHR bringt als Multi-Stakeholder-Institution supranationale Organisationen (u.a. die International Labour Organisation, das Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights), Regierungen (u.a. die Außenministerien der USA und der Schweiz), Sponsoren (u.a. Coca-Cola, Adidas), Sportorganisationen (u.a. die FIFA, die Commonwealth Games Federation), Broadcaster (u.a. British Telecommunication BT), Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen (u.a. die Partner der SRA) zusammen.

Und Deutschland? Da wurden allein seit 2010 vier Olympiabewerbungen mit Aplomb gestartet und wirkungsvoll in den Sand gesetzt. Die Schuld für diese Pleiten suchte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) bei den internationalen Sportorganisationen und deren durch Korruptionsskandale und Menschenrechtsverletzungen beschädigter Reputation sowie den Medien, Selbstkritik blieb aus. Das für Sport zuständige Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) ist zwar beim CSHR im Beirat beteiligt, kann sich an den meisten Debatten aber mangels außenpolitischer Zuständigkeit nicht beteiligen.

So ließ es aufhorchen, als BMI und DOSB vor rund zwei Jahren einen Prozess zur Erarbeitung einer "Nationalen Strategie Sportgroßveranstaltungen" starteten. Die Hoffnung auf einen systematischen Ansatz in der deutschen Sportpolitik, abgestimmt aus Verbandssicht wie von staatlicher Seite, erstickte jedoch schnell im Klein-Klein der Funktionärssorgen. Wie bekommen wir genug staatliche "Kohle" für Kandidaturen auf internationaler Ebene und wie wehren wir mögliche Vorgaben der Politik ab – das waren die drängendsten Fragen mancher Verbandspräsidenten. Darüber blieben konkrete Überlegungen zu Menschenrechten und Governance auf der Strecke, lediglich die "Werte des Sports" wurden einmal mehr abstrakt betont.

Deutschland könnte wesentliche Akzente setzen

Die schließlich Anfang März 2021 vorgestellte Strategie liest sich daher eher wie eine bürokratische Anweisung für Förderanträge, denn als motivierender und zukunftsweisender Impuls. Dabei wäre gerade Deutschland mit der beispielhaften Vereinslandschaft, als erfolgreiche Winter- und Sommersportnation, erfahrener Organisator von Sportgroßveranstaltungen, potenter Wirtschaftsstandort und nicht zuletzt politisches Schwergewicht innerhalb der Europäischen Union dazu berufen, in der internationalen Sportpolitik wesentliche Akzente zu setzen. Die deutsche Leerstelle schwächt dagegen die Reformkräfte innerhalb und außerhalb des Sports, einschließlich der zarten Ansätze des deutschen IOC-Präsidenten.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Es bleibt zu hoffen, dass die jetzt in Angriff genommene „Umsetzungsplanung“ der Nationalen Strategie sich von der rein administrativen Herangehensweise löst. Die durch die Pandemie weiter verschärften globalen Probleme sollten dabei zum Ausgangspunkt genommen werden. Sportgroßevents behalten ihre Daseinsberechtigung nur, wenn sie als Teil der Lösung der krisenhaften Zuspitzung unserer Zeit verstanden werden, nicht aber als wohlfeiles Ablenkungsmanöver. Sportpolitik kann – und muss – einen signifikanten Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel, gegen soziale Ausgrenzung und gesellschaftliche Spaltung, ob national oder international, leisten.

Die UEFA EURO 2024 sieht für die zehn Spielorte in Deutschland ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept einschließlich der Übernahme menschenrechtlicher Verantwortung vor. Dies bezieht sich auf das Kerngeschäft der Veranstaltung, ohne jedoch die Kompetenzen und Zuständigkeiten einer Sportorganisation auszudehnen. Damit könnte eine Blaupause für die künftige Ausrichtung der Nationalen Strategie (und darüber hinaus) geschaffen werden. Brücken bauen, Menschen emotional vereinen, Denkblockaden überwinden helfen und Innovationen anstoßen – das wäre eine würdige Zielsetzung künftiger deutscher Sportpolitik.

Sylvia Schenk ist Rechtsanwältin, Olympiateilnehmerin 1972, Mitglied der Arbeitsgruppe Sport von Transparency Deutschland und seit Jahren vielgefragte Expertin für alle Fragen rund um Korruption im Sport.