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Rezension

Hans Weiss: „Korrupte Medizin Ärzte als Komplizen der Konzerne“

Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2008

Vermutlich kann Hans Weiss mit diesem Buch an die Millionenerfolge seiner früheren Veröffentlichungen (u.a. Bittere Pillen, 1983, Kursbuch Gesundheit, 1990, Schwarzbuch Markenfirmen – Die Machenschaften der  Weltkonzerne, 2001) anknüpfen. Der als Psychologe und Medizinsoziologe international ausgebildete freie Journalist, der immer wieder für „Spiegel“, „Stern“ und „Zeit“ gearbeitet hat, wollte bei der zweijährigen Recherche zu diesem Buch herausfinden, ob sich durch schärfere Gesetze, bessere Strafverfolgung, Verhaltenskodizes der Branche und eine kritischere Öffentlichkeit die Marketingpraxis der Pharmakonzerne seit den achtziger Jahren verbessert hat. Sein Fazit: das ist nicht der Fall.

Schon im Vorwort schreibt der Autor: „Das Sündenregister reicht von unethischen Verkaufspraktiken, manipulierten oder nicht veröffentlichten Studienergebnissen, über vielfachen Betrug zulasten von Sozialkassen, irreführender Werbung und Vermarktung von Pseudoinnovationen bis hin zur Verheimlichung von Nebenwirkungen und Bestechung von Ärzten“ (S. 10). Diese Vorwürfe werden im einzelnen belegt.

Für die Recherche hat der Autor eine halbjährige Ausbildung zum Pharmareferenten durchlaufen und sich dann verschiedene Identitäten zugelegt. Getarnt als „Strategic Consultant“ oder „Pharma Consultant“ hat er Kongresse für Pharmavertreter besucht, Studien zum Test von Psychopharmaka angeboten, Werbekampagnen für verschreibungspflichtige Arzneien in Publikumszeitschriften getestet und dabei herauszufinden versucht, ob und inwieweit Ärzte sich über eindeutige gesetzliche Bestimmungen hinwegsetzen, weil Pharmakonzerne ihnen dafür Vorteile gewähren. Sein Resultat ist alarmierend. Nie geht es um die Qualität von Medikamenten, sondern immer um Geld und Marketing. Durchgängig wird die „Deklaration von Helsinki“ des Weltärztebundes verletzt, in der es heißt: „In der medizinischen Forschung haben Überlegungen, die das Wohlergehen der Versuchsperson betreffen, Vorrang vor den Interessen der Wissenschaft und der Gesellschaft“ (S.9). 

Es ging dem Autor nur indirekt um die Unterstützung der redlich arbeitenden Ärzte, die es natürlich gibt. Aber sie haben es schwer angesichts von immer härter zugreifenden Vertriebsnetzen der Marketingabteilungen, die einen Arztdatenpool betreiben, in dem die Anfälligkeit jedes einzelnen Mediziners für „Wohltaten“ der Anbieter  (Ärztemuster, Anwendungsbeobachtungen, Redner auf Kongressen, Gutachten...)  ermittelt ist.

Der Autor schreibt: “Der beklagenswerte Zustand der Medizin ist allerdings auch eine Folge des Versagens der Politik. Man lässt die Pharmabranche – ähnlich wie bis vor kurzem die Finanzbranche – schalten und walten, wie es ihr beliebt“ (S.13).  Auch hier ist ihm zuzustimmen. Dieser Zusammenhang wird ökonomisch viel zu selten hergestellt, aber der Fall Siemens hat ihn belegt: Wer auf zweifelhafte Vertriebsmethoden und ein oft ans Kriminelle grenzendes Marketing setzt und sich um Innovationen und Qualitätsprodukte zu wenig kümmert, hat ökonomisch irgendwann den Kampf um die Kunden verloren. Im Gesundheitsbereich ist dies besonders schlimm, weil hier mit der Glaubwürdigkeit und dem Vertrauen von Menschen gespielt wird, ohne die niemand gesunden kann.

Das Buch kann als Nachschlagewerk für die Pharmaskandale der  letzten Jahre benutzt werden. Klagen gegen den Autor sind mir nicht bekannt, die Fakten stimmen augenscheinlich. Ein alphabetisches Register jener medizinischen Multiplikatoren, die besonders eng mit den Anbietern verbunden sind, ist ebenfalls enthalten. Darunter sind nur drei Frauen, was zwei Schlüsse zulässt: sie sind entweder nicht in diesen „interessanten“ Positionen oder sie sind weniger leicht käuflich. Die zweite Alternative wäre mir lieb.

(Anke Martiny)        

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