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Dieselskandal: Andreas Scheuer und die Mär von der maximalen Transparenz

Erfahrungen von Transparency Deutschland aus einem dreijährigen Rechtsstreit mit dem Bundesverkehrsministerium

Berlin, 19.08.2021

© BMVI / Daniel Biskup

Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland hat das Bundesverkehrsministerium (BMVI) im Jahr 2018 aufgefordert, gemäß Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und Umweltinformationsgesetz (UIG) Auskünfte zur Aufklärung des Dieselskandals zu erhalten. Statt, wie gesetzlich vorgesehen, innerhalb von einem Monat Auskunft zu erteilen, beauftragte Bundesminister Andreas Scheuer (CSU) die bekannt teure Anwalts- und Beratungsfirma KPMG damit, die berechtigten Auskunftsansprüche zu torpedieren. Nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten erhielt Transparency Deutschland im Februar 2021 4.228 teils geschwärzte Seiten.

Obwohl ein weiteres gerichtliches Vorgehen mit Blick auf die Schwärzungen inhaltlich angebracht erschiene, bricht Transparency Deutschland das Verfahren an dieser Stelle ab. Denn in absehbarer Zeit ist kein brauchbares Ergebnis zu erwarten und der dauernde Aufwand durch die von Transparency beauftragte Anwaltskanzlei Partsch und Partner kann nicht länger mit einer „pro bono“-Gebühr erledigt werden. Mit der Klagerücknahme kommt die Organisation außerdem ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl nach, da sich die Kosten für die Steuerzahlenden durch die Mandatsübertragung auf KPMG bereits auf mindestens 300.000 Euro summieren.

Dazu erklärt Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency Deutschland:

„Es liegt im öffentlichen Interesse, den Dieselskandal und die Verwicklung des Ministeriums und seiner nachgeordneten Behörden umfassend aufzuklären. Nach einem jahrelangen Verfahren mit diversen Blockademanövern seitens des Ministeriums haben wir letztendlich einen Stapel teils geschwärzter Akten erhalten. Entgegen plakativer öffentlicher Äußerungen, für maximal mögliche Transparenz zu stehen, haben Andreas Scheuer und das Bundesverkehrsministerium gezeigt, wie der Umgang des Staats mit der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit nicht sein sollte. Es ist beschämend für den Rechtsstaat, aber auch für das mit guten Juristinnen und Juristen besetzte Bundesverkehrsministerium, dass Andreas Scheuer hunderttausende Euro an Anwaltskosten verschleudert, um berechtigte Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger auf Auskunft zu unterlaufen. Die obstruktive, das gesetzliche Transparenzgebot ad absurdum führende Prozessführung durch KPMG füllt deren Taschen und dient lediglich der offenbar vorhandenen Angst des Ministers vor Aufklärung. Dem Rechtsstaat insgesamt und dem Vertrauen in Verwaltung, Politik und Justiz wird jedoch ein Bärendienst erwiesen, wenn die Waffenungleichheit zwischen um Aufklärung nachsuchenden Bürgerinnen und Bürgern und Aufklärungsverweigerern in Ministerien derart exemplarisch vor Augen geführt wird. Leider ist das Berliner Verwaltungsgericht diesem Vorgehen kaum entgegengetreten, anders als das Verwaltungsgericht Schleswig in einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit.“

Rechtsanwalt Dr. Christoph Partsch, der Transparency Deutschland vor Gericht vertreten hat, sagt:

„Das IFG soll das Verwaltungshandeln transparenter gestalten, die demokratischen Beteiligungsrechte sollten gestärkt werden. Vor dem Berliner Verwaltungsgericht ist die Durchsetzung dieses Rechts zurzeit bei einer obstruktiven und betrügerisch agierenden Verwaltung praktisch nicht möglich. Das Urteil des VG Schleswig zeigt, dass es auch besser geht. Wir brauchen ein Verwaltungsprozessrecht, das die Bürgerinnen und Bürger schützt, wir brauchen aber auch die Akzeptanz von Gesetzen bei Richtern.“

Transparency Deutschland fordert vor dem Hintergrund dieses Verfahrens:

  1. Transparenzgesetz: Auf Bundesebene muss nach der Bundestagswahl ein echtes Transparenzgesetz als Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes eingeführt werden. Die Grundlogik muss sich umdrehen: Von der Holschuld der Bürgerinnen und Bürger zur Bringschuld von Politik und Verwaltung. Denn Regierungshandeln muss sich durch Nachvollziehbarkeit legitimieren. Neben der Aktenauskunft auf Antrag wären die Behörden künftig verpflichtet, wichtige staatliche Dokumente proaktiv zu veröffentlichen, zum Beispiel auf einem zentralen Transparenzportal. Von Privatunternehmen gegen einen Auskunftsanspruch ins Feld geführte, angebliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dürfen nicht länger als Vorwand dienen, in öffentlichen Verfahren bekannt gewordene Fakten einem Auskunftsbegehren zu entziehen.
  2. Veröffentlichungsreife Dokumentation: Verwaltungsvorgänge müssen von vornherein so dokumentiert werden, dass sie einfach zu veröffentlichen sind. Das heißt, dass die Verwaltung bei einer Anfrage nicht erst mit großem zusätzlichem Aufwand Fragen von Datenschutz und Vertraulichkeit klären muss, sondern dass die Akten von vornherein mit Blick auf eine mögliche Veröffentlichung geführt werden.
  3. Keine Kostenexzesse durch den Einsatz von Anwaltsfirmen: Ministerien müssen sich gemäß ihrem Auftrag ordnungsgemäß einrichten. Dazu gehört auch, dass sie sich in Rechtsstreitigkeiten durch ihre eigenen Juristinnen und Juristen vertreten können lassen sollten. Wenn auf externe Anwaltsfirmen zurückgegriffen werden muss, dann sollten diese entsprechend des Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) vergütet werden – und nicht zu Stundenhonoraren, die bei den Anwaltsfirmen falsche Anreize setzen, Steuergeld verschwenden und die Waffenungleich zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie Ministerien vergrößern.
  4. Verantwortung der Gerichte: Gerichte müssen zunächst das Recht anwenden und nicht das Recht gegen die Bürgerinnen und Bürger sowie anerkannte Auslegungsregeln auslegen. Sie sollten den Missbrauch von Rechtsmitteln verhindern: Dazu gehört der mehrfache Einsatz von Sperrerklärungen, die exzessive Beiladung von angeblich Betroffenen sowie das dauernde Gewähren von Fristverlängerungen für Anwälte einer Großkanzlei, die über ausreichend Mitarbeitende verfügt. In diesem Sinn müssten auch Möglichkeiten der Unterbindung von falschem Vortrag, dem Missbrauch von Rechtsmitteln und exzessiver Verzögerung entwickelt werden. In den USA sind entsprechende Rechtsinstitute der „obstruction of justice“ oder des „contempt of court“ wirksam.
  5. Pre-trial Discovery: Die Verwaltungsgerichte sollten entlastet werden durch die an US-amerikanisches Recht angelehnte Einführung der sogenannten „Pre-trial Discovery“ im Zivilprozessrecht. Im Zuge dessen würden Streitigkeiten vor Zivilgerichten auf die Verfahrensbeteiligten rückverlagert. So können Kläger, die in der Regel nicht im Besitz eigener Beweise sind, durch dieses Instrument ihre Ansprüche geltend machen. Das Unternehmen muss dann – in umgekehrter Beweislast zur deutschen Realität – beweisen, dass es für eine Schädigung eines Käufers/Verbrauchers nicht verantwortlich ist.

Hintergrund

Transparency Deutschland wollte die Offenlegung aller dem BMVI bekannten Diesel-Abschalteinrichtungen erreichen. Konkret wurde beantragt offenzulegen, um welche Art von Abschalteinrichtung es sich bei den jeweiligen Modellen und Herstellern handelt, ob sie als zulässig oder unzulässig angesehen werden und wie sie jeweils wirken. Außerdem sollte das BMVI Auskunft darüber erteilen, welche Stelle zu welchem Zeitpunkt die entsprechenden Abschalteinrichtungen mit welcher Begründung auf der Basis der Regelung der Verordnung VO 715/2007/EG als zulässig angesehen hat. Abgefragt wurde auch, welche deutschen Hersteller zu Bußgeldzahlungen wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen verpflichtet worden sind.

Dokumente

Sie finden hier folgende Dokumente zum Download:

  • Brief von Transparency Deutschland an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vom 18. Oktober 2018 mit dem Auskunftsbegehren
  • Alle durch das BMVI am 25. Februar 2021 übersandten Dokumente im Zusammenhang mit dem Auskunftsbegehren
  • Überblick über den Ablauf des Rechtsstreits, der die Blockadetaktik von BMVI und KPMG Law und das zögerliche Verhalten des Verwaltungsgerichts Berlin zeigt

Kontakt

Adrian Nennich
Pressesprecher von Transparency Deutschland
030 - 54 98 98 0
presse@transparency.de