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Deutsche medizinische Fachgesellschaften verharmlosen Interessenkonflikte

Gemeinsame Stellungnahme von MEZIS, Leitlinienwatch und Transparency Deutschland

Berlin, 02.03.2022 – In einer heute veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme kritisieren MEZIS, Leitlinienwatch und Transparency Deutschland, dass deutsche medizinische Fachgesellschaften durch die Verharmlosung von Interessenkonflikten langfristig ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.

© istock.com / Mirexon

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hat innerhalb eines Vierteljahres zwei Stellungnahmen zur Zusammenarbeit mit der Arzneimittelindustrie abgegeben1,2. In beiden werden die gängigen Kooperationsformen von Mediziner*innen mit der Industrie quasi als natürliche Symbiose dargestellt. Es wird verschwiegen, dass sich auch Nachteile für Patient*innen und Versicherte aus der finanziellen Verflechtung von Firmen, Ärzt*innen und Fachgesellschaften ergeben können. Damit wird verschleiert, in welche Abhängigkeiten und Interessenkonflikte die Beteiligten geraten können.

Auffällig ist, dass in beiden Stellungnahmen die bisherige AWMF-Position verwässert wird: Es galt, dass alle Arten von Interessenkonflikten „erkannt, selbst und fremd bewertet“ und „deren Einflüsse auf Entscheidungen“ reguliert werden müssen3.

MEZIS, Leitlinienwatch und Transparency Deutschland befürchten, dass die deutschen medizinischen Fachgesellschaften langfristig Ansehen und Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Sie ignorieren den internationalen Trend, wissenschaftliche Unabhängigkeit gegen nachgewiesene Beeinflussungsversuche der pharmazeutischen Industrie zu verteidigen. Vor allem zeigen sie kein Problembewusstsein dafür, wie weit schon jetzt viele dieser Fachgesellschaften abhängig von Geldern der Industrie sind.

Im Interesse der Patient*innen erwarten die unterzeichnenden Organisationen deshalb von den medizinischen Fachgesellschaften und der AWMF, dass

  • neben allgemein akzeptierten gemeinsamen Interessen von Medizin und Industrie gleichwertig gegensätzliche Interessen und mögliche Risiken benannt werden. Die Ärzteschaft ist für das umfangreiche Beeinflussungs-Repertoire der Pharma-Konzerne zu sensibilisieren.
  • sämtliche Interessen und daraus mögliche Interessenkonflikte der beteiligten Mediziner*innen in den entsprechenden Publikationen veröffentlicht und vor allem „selbst und fremd bewertet“3 werden.
  • Sachverständige mit Interessenkonflikten grundsätzlich von Leitliniengremien ausgeschlossen werden. Im Ausnahmefall ist zu begründen, weshalb nicht auf Autor*innen mit Industriekontakten verzichtet werden konnte
  • gezielt darauf hingearbeitet wird, Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen ohne die finanzielle Unterstützung der Industrie durchzuführen.
  • Stände der pharmazeutischen Industrie bei Kongressen auf das für die Informationsvermittlung sinnvolle Maß begrenzt werden. Überdimensionierte Marketing-Auftritte führen dazu, dass weniger finanzkräftige, aber dennoch wichtige Anbieter*innen und Verbände nur am Rande wahrgenommen werden.
  • auf eine ärztliche Fortbildung durch Herstellerfirmen („Industriesymposien“) völlig verzichtet wird.

Die Erfahrung zeigt, dass etablierte Institutionen sich schwertun, bestehende materielle Abhängigkeiten einzugestehen. Deshalb regen wir eine öffentliche Debatte an. Freiwillige Verhaltensvorschriften reichen erfahrungsgemäß nicht aus. Stattdessen sind gesetzliche Regelungen erforderlich. Vorbild könnte der Physician Payments Sunshine Act in den USA sein. Danach muss die Industrie die Geldflüsse an alle Akteur*innen im Gesundheitswesen offenlegen.

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Kontakt

Dr. med. Niklas Schurig
MEZIS
schurig@mezis.de

Prof. Dr. med. Thomas Lempert
leitlinienwatch.de
kontakt@leitlinienwatch.de

Rolf Blaga
Transparency International Deutschland e.V.
rblaga@transparency.de