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Ausbau der Oder: Transparency fordert unabhängige Überprüfung

Berlin, 13.11.2020

© Lubos Houska / Pixabay

Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland fordert eine unabhängige Überprüfung des Projekts zum Ausbau der Oder als Wasserstraße. Es besteht Grund zu der Annahme, dass das offiziell mit dem Hochwasserschutz begründete Projekt primär den Interessen einzelner Unternehmen dient – und die Hochwassergefahr entgegen der offiziellen Projektziele sogar zunehmen könnte. Die zentrale Begründung für die Vertiefung durch die Befürworter ist nicht stichhaltig, wie auch die aktuellen Äußerungen von polnischer Seite zeigen. Dazu Carel Carlowitz Mohn, stellvertretender Vorsitzender von Transparency Deutschland:

„Sowohl die polnische als auch die deutsche Regierung haben das Oder-Ausbau-Projekt stets mit dem Hochwasserschutz begründet – und nur zu diesem Zweck können die entsprechenden EU- und Weltbank-Gelder eingesetzt werden. Sollte das Projekt in erster Linie wirtschaftlichen Partikularinteressen dienen, liegt der Verdacht einer Zweckentfremdung dieser Mittel nahe. Außerdem bestehen Interessenkonflikte durch persönliche Verflechtungen einzelner Entscheidungsträger auf deutscher und polnischer Seite. Das muss durch unabhängige Stellen überprüft werden.“

Das Projekt wird mit Mitteln der EU-Kommission, einem Kredit der Weltbank an die polnische Regierung sowie auf deutscher Seite zu einem kleinen Teil mit Geldern aus dem Bundeshaushalt finanziert. Daher fordert Transparency Deutschland das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung bei der EU-Kommission (OLAF) sowie die Integrity Vice Presidency als Antikorruptionseinheit der Weltbank auf, eine koordinierte gemeinsame Überprüfung des Projekts durchzuführen. Auch die gerade zustande gekommene Einigung über den EU-Haushalt, die Auszahlung von Geldern an rechtsstaatliche Kriterien zu verknüpfen, wird keine Wirkung haben, wenn die Kontrollmechanismen der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten nicht verschärft werden. Dies wird im kürzlich veröffentlichen Tätigkeitsbericht 2019 des Europäischen Rechnungshofs deutlich.

Hintergrund

Vergabe-Bestimmungen der Förderer

Die Bestimmungen für die Verwendung von EU-Mitteln sowie für die Vergabe von Krediten der Weltbank sehen vor, dass die eingesetzten Mittel ausschließlich für die offiziell beantragten Zwecke eingesetzt werden dürfen – in diesem Fall der Hochwasserschutz. So heißt es beispielsweise in den Bestimmungen der Weltbank für Sanktionsverfahren und Vergleiche bei Bank-finanzierten Projekten: „Gemäß ihren Vertragsbestimmungen ist es die Pflicht der Weltbank, Vorkehrungen zu treffen um sicherzustellen, dass von der Bank bereitgestellte Mittel ausschließlich für den vorgesehenen Zweck eingesetzt werden.

Ein Infrastruktur-Projekt unter fragwürdigen Vorzeichen

Offiziell soll durch eine Vertiefung des Flusses die Schiffbarkeit des Flusses für Eisbrecher erhöht werden, um Eishochwasser zu bekämpfen. Nach Informationen aus den amtlichen Ausbaudokumenten könnte das Projekt jedoch sogar zu einer Erhöhung des Wasserstandes bei Hochwasser und damit einer Verschlechterung des Hochwasserschutzes des besonders Flut-gefährdeten Oderbruchs führen.

Außerdem ist der geplante Ausbau auf 1,80m Wassertiefe für die neuen deutschen Eisbrecher „Schwedt“ und „Kietz“ mit einem Tiefgang von 1,40m nicht notwendig, da die Oder bereits heute während 80 bis 90 Prozent des Jahres deutlich mehr als 1,40m Wassertiefe hat. Für die Zeiträume extremen Niedrigwassers zu Beginn einer Tauperiode wäre zudem die Beschaffung speziell für Flachwasser konzipierter Amphibex-Eisbrecher eine wesentlich kostengünstigere und umweltschonendere Alternative als der Oder-Ausbau, dessen vorgesehenen Baumaßnahmen zum Teil im Nationalpark Unteres Odertal erfolgen würden.

Die Planer auf polnischer Seite – Andrzej Kreft, ehemaliger Direktor des Wasserwirtschaftsamtes Stettin, und Stanislaw Gawlowski, ehemaliger polnischer Vize-Umweltminister – geben inzwischen öffentlich zu, dass sie das Eisbrecher-Argument erst entwickelt hatten, nachdem sie merkten, dass die Binnenschifffahrt als Argument für den Ausbau nicht überzeugte.

Wirtschaftliche Interessen und persönliche Interessenkonflikte

Zu den wirtschaftlichen Profiteuren des Projekts zählt unter anderem der in Schwedt/Oder ansässige deutsche Papierhersteller Leipa. Die Klützer Querfahrt, ein auf polnischem Territorium gelegener Wasserarm der Oder, verbindet Schwedt mit der Ostsee. Ihre geringe Wassertiefe behinderte bisher die Küstenmotorschiffe von Leipa. Die Klützer Querfahrt wird nun ebenfalls vertieft und zu zwei Dritteln aus dem für den Hochwasserschutz zweckgebundenen Kredit der Weltbank an die polnische Regierung finanziert. Aufsichtsratsvorsitzender von Leipa ist seit April 2015 Matthias Platzeck, bis August 2013 Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Platzeck hatte als Ministerpräsident jahrelang gegenüber der Bundesregierung den Wunsch der polnischen Behörden nach dem Ausbau der Oder unterstützt, um umgekehrt die Zustimmung der polnischen Behörden für die Vertiefung der Klützer Querfahrt zu erhalten.

Auf polnischer Seite wird der Ausbau der Oder seit langem durch das Binnenschiffahrtsunternehmen OT Logistics zusammen mit dem Chemiekonzern Grupa Azoty gefordert, dessen Schüttgut OT Logistics auf der Oder transportiert. Marek Gróbarczyk, ehemaliger Vizepräsident von Grupa Azoty, ist als heutiger polnischer Binnenschifffahrtsminister zuständig für den Ausbau der Oder auf polnischer Seite. Der ehemalige Präsident von OT Logistics Waldemar Maj, heute Aufsichtsratsmitglied, arbeitete von 1996 bis 2000 für die Weltbank, die den Ausbau der Oder auf polnischer Seite finanziert. OT Logistics fordert genau die 1,80 m Wassertiefe, die im Rahmen des Ausbaus der Oder realisiert werden soll. 

Kontakt

Carel Carlowitz Mohn
Stellvertretender Vorsitzender

Sylvia Schwab
Pressesprecherin

E-Mail: presse@transparency.de
Tel.: 030 - 54 98 98 0