Über uns

Gründungsgeschichte

Jede Vereinsgründung hat eine Geschichte. Die Gründungsgeschichte von Transparency Deutschland geht so:

1993. Es ist das Jahr, in dem in Berlin der ehemalige Weltbank-Direktor Peter Eigen die internationale Anti-Korruptionsorganisation Transparency International gründet. Nach jahrzehntelanger Tätigkeit als Angestellter der Weltbank realisiert der Deutsche aus Erlangen, dass Korruption das größte Hemmnis für den Erfolg entwicklungspolitischer Arbeit darstellt. Als er beginnt, sich für die Bekämpfung von Korruption einzusetzen, mahnt die Organisation ihn ab. Per Memorandum erinnert sie Peter Eigen daran, dass der Weltbank „jedwede politische Aktivität und Einmischung in die 'inneren Angelegenheiten' eines Landes verboten“[1] sei. Wie alle anderen Akteure auf der internationalen Bühne vermag auch die Weltbank damals nicht zu erkennen, wie sehr strukturelle Korruption den Erfolg ihrer Projekte und das wirtschaftliche und soziale Fortkommen der Entwicklungsländer erodiert. Desillusioniert von der Erkenntnis, dass ihm innerhalb der Weltbank „die Hände gebunden“[2] sind, kündigt Peter Eigen seine Arbeit auf und gründet, zusammen mit 10 Mitstreitern, im Juni 1993 in Den Haag die weltweit erste und heute führende Anti-Korruptionsorganisation. 

Während die Idee, mit einer zivilgesellschaftlichen Organisation systematisch gegen die weltweite Korruption anzukämpfen, selbst von engen Freunden noch für verrückt erklärt wird, sind Peter Eigen und Co. schon vollauf mit der inhaltlichen Konzeption von Transparency International beschäftigt. In seinem Buch „Das Netz der Korruption“, das die Entstehungsgeschichte der Korruptionsbekämpfung beleuchtet, beschreibt Peter Eigen die Gründung der Organisation und erwähnt in diesem Zusammenhang: „Außerdem beschlossen wir, möglichst schnell nationale Niederlassungen, also unsere Chapter, zu gründen.“[3]  Korruption, so sieht die Idee vor, kann nicht von oben herab bekämpft werden, sondern muss aus den Gesellschaften heraus angegangen werden, die sie betrifft. Nach Meinung vieler ist Deutschland 1993 damit nicht gemeint. Bestechung und Bestechlichkeit im Land prinzipientreuer preußischer Beamter? Ein Thema für gierige Eliten aus Afrika und Asien. Verschwendung öffentlicher Gelder zum Wohle Einzelner?  Märchengeschichten politischer Gegner. Bis zum Zeitpunkt der Gründung von Transparency Deutschland, dem deutschen Chapter der internationalen Organisation, ist das die vorherrschende Räson.
 

Die Anfänge (1993)

Transparency International Deutschland wird offiziell am 5. Oktober 1993 gegründet. Bedeutend erscheint dieses Datum jedoch nur im Rückblick: Die Gründungsversammlung ist lediglich „eine Sitzung unter vielen“[4]. Sie findet im Institut für wassergefährdende Stoffe (IWS), dessen Leiter Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Lühr ist, am Zoologischen Garten in Berlin statt. Auf der Gründungsversammlung, die den Worten des Gründungsmitglieds und späteren Vorsitzenden Peter Waller zufolge „von ein paar Leutchen“[5] abgehalten wird, wird Hans-Peter Lühr zum ersten Vorsitzenden gewählt; Dr. Jürgen Marten und Dr. Brigitte Fahrenhorst sind seine Stellvertreter.

In den ersten Jahren trifft sich der „überschaubare Kreis an Mitstreitern“[6] an den verschiedensten Orten in und um Berlin. Die Abwesenheit einer Geschäftsstelle, die der Organisation eine feste Infrastruktur gegeben hätte, macht die Korruptionsbekämpfer der ersten Stunde erfinderisch. Sie treffen sich in den Räumen ihrer Arbeitsstellen und häufig privat. Da in der Anfangszeit Peter Eigen im IfwS Transparency International aufbaut und man Verwechslungen zwischen der internationalen Organisation und dem deutschen Chapter vermeiden will, gibt Lühr bei der Eintragung in das Vereinsregister daher zunächst seine Privatadresse an.[7]

Überhaupt ist die Trennung zwischen Transparency International und Transparency Deutschland in den Anfängen alles andere als eindeutig. Dadurch, dass Peter Eigen in Deutschland naturgemäß deutsche Weggefährten und Bekannte für den Einsatz für die Korruptionsbekämpfung rekrutiert und auch selbst viel mitwirkt, bestehen Unklarheiten über den genauen Arbeitseinsatz. Hans-Peter Lühr erinnert sich: „Am Anfang haben wir alle nicht so richtig durchgeblickt, was international und national ist. Aber das war viel durch die Örtlichkeit im IWS gegeben, wo Peter Eigen die Räumlichkeit und Infrastruktur zur Verfügung gestellt bekam, so dass sich die internationale Organisation und das nationale Chapter am Anfang auch noch in denselben Räumen getroffen haben.“ Jürgen Marten fügt hinzu: „Eine Zeitlang haben sich Transparency International und Transparency Deutschland sowohl nach außen als auch nach innen hin sehr eng vermischt. Das hat sich erst später richtig getrennt.“[8]

Von Anfang an jedoch lebt auch Transparency Deutschland, eines der ersten nationalen Chapter der Transparency-Welt, von der Begeisterung für eine Idee. Diese Begeisterung wird nach allen Regeln der Überzeugungskunst von Peter Eigen gestreut. Peter Waller erinnert sich: „Wie immer bei den Anfängen von Organisationen lief auch bei Transparency sehr viel über persönlichen Kontakt. Einer der wichtigsten Faktoren für Transparency ist auch die Persönlichkeit von Peter Eigen, der Leute ansprechen und für etwas begeistern kann und dann auch nicht zimperlich ist, sondern einfach sagt: Du machst das! Als Organisationsentwickler ist er ein Genie.“[9]

Nach und nach kommen so diejenigen Aktivisten zusammen, die das Gefahrenpotential von Korruption in Deutschland erkennen. Neben ihren hauptamtlichen Tätigkeiten in Führungspositionen in der Entwicklungspolitik und anderen gesellschaftlichen Bereichen setzen sie sich ehrenamtlich für die Bekämpfung eines der größten Entwicklungshemmnisse unserer Zeit ein.
 

Zwei Jahre später

Am 16. Februar 1995 wird auf der Mitgliederversammlung, auf der 18 Mitglieder[10] anwesend sind, der zweite Vorstand von Transparency Deutschland gewählt. Dem neuen fünfköpfigen Vorstand stehen Prof. Waller als Vorsitzender und Prof. Lühr und Ludwig von Reiche als stellvertretende Vorsitzende vor.

Auf organisatorischer Ebene steht derweil weiterhin die Eintragung in das Vereinsregister aus, weil „mit der bisherigen Satzung die Förderungswürdigkeit nicht erreicht werden konnte“[11]. Sie erfolgt erst über zwei Jahre nach der Gründung am 5. Januar 1996. Gründungsmitglied der ersten Stunde und Rechtsanwalt Jürgen Marten, der bis heute im Vorstand tätig ist,  erklärt dazu: „Transparency Deutschland hat schon seit 1993 als nicht rechtsfähiger Verein existiert. Aber er ist deshalb nicht eingetragen worden, weil es damals mit der Finanzverwaltung in Berlin größere Probleme hinsichtlich der Gemeinnützigkeit von Transparency International, also dem Gesamtverein, gab. Und auch bei Transparency Deutschland hatten wir große Schwierigkeiten, das Finanzamt davon zu überzeugen, dass wir den Gemeinnützigkeitsstatus bekommen. Denn zunächst mal waren wir in dem Katalog der förderungswürdigen Aktivitäten nicht so leicht zuzuordnen. Korruptionsbekämpfung war dort gar nicht aufgeführt! Am Anfang hat bei der Finanzverwaltung und beim Finanzamt die Vorstellung bestanden, Transparency sei eine Organisation zur Unterstützung der Wirtschaft. Uns wurde entgegnet: ‚Wieso wollt ihr gemeinnützig sein? Ihr arbeitet doch für die Wirtschaft.’ Das hat lange gedauert, bis wir klar gemacht hatten, dass wir zwar die Zielstellung haben, Koalitionen auch mit denen, die betroffen sind, zu bilden, aber nicht für die Wirtschaft arbeiteten, sondern für die Gesellschaft, und deshalb auch förderungswürdige Zwecke vertreten.“[12]

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit Korruptionsbekämpfung hat zu dem Zeitpunkt  schon lange begonnen. Bereits 1995 wird diskutiert, ob „TI Deutschland sich auf die Bekämpfung der internationalen Korruption beschränken sollte oder auch die Bekämpfung der Korruption in Deutschland zu seiner Aufgabe machen müsse“[13]. Die Mehrheit der Mitglieder unterstützt einen Fokus auf internationale Korruption, da die Beschäftigung mit inländischer Korruptionsbekämpfung auf Grund mangelnder Kapazitäten als erfolglos angesehen wird. Die Untersuchung und Bekämpfung der innerdeutschen Korruption wird jedoch nicht kategorisch ausgeschlossen.[14] Jahrelang ist somit auch die Durchsetzung einer internationalen Konvention gegen Korruption fest im Aktionsprogramm von Transparency Deutschland integriert.

Am 21. Juni 1995 findet eine schon 1994 geplante Veranstaltung[15] zur steuerlichen Absetzbarkeit von Bestechungsgeldern statt. Auf Einladung der GKKE (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung) und SID (Society for International Development) wird ein Hearing zu „Korruption als Entwicklungshindernis - Unterbindung der Korruption durch rechtliche Maßnahmen in Deutschland“ durchgeführt. Der erste Mitgliederrundbrief, den Transparency Deutschland im Februar 1996 versendet, hält fest: „Wichtigstes Ergebnis [der Konferenz] war, dass der Vertreter der OECD darstellte, dass Deutschland im Vergleich der OECD-Länder leider zu der Gruppe gehört, in der die steuerliche Absetzbarkeit von Bestechungsgeldern im Ausland am leichtesten ist und dass die Vertreter der Bundestagsfraktionen aller Parteien erklärten, diese steuerliche Absetzbarkeit müsse (wenn auch mit bestimmten Ausnahmen) abgeschafft werden.“[16] Dass vor der Konferenz erst geklärt werden muss, wer für die Reisekosten der Transparency-Abgesandten aufkommt, die die gähnend leere Kasse der Korruptionsbekämpfer kaum kompensieren kann[17], macht die Diskrepanz zwischen strukturellen Problemen der Organisation und der immensen Expertise der Ehrenamtlichen deutlich.

Die finanzielle Klammheit des Vereins liegt zu dem Zeitpunkt auch in der Unpopularität der Arbeitsinhalte begründet. Das Wissen um die Gefahr von Korruption für Demokratie, Rechtsstaat und Marktmechanismen, das die Transparency-Mitglieder zu gesellschaftlichen Vorreitern macht, stößt in Deutschland naturgemäß nicht auf öffentliche Gegenliebe. Trotz der öffentlichen Bauskandale in Berlin um Garski in den späten 80er Jahren kann Hans-Peter Lühr im Rückblick keine angeregte Debatte um einen sauberen und transparenten Staat erkennen: „Wir von Transparency waren keine geliebten Kinder. Mit Korruptionsbekämpfung wurde damals ein Tabuthema angesprochen, denn bis dato wurde immer behauptet: Bei  deutschen Beamten gibt es so etwas nicht. Das waren immer nur die Anderen. Wir haben immer wieder versucht, Multiplikator zu sein. Aber es hat sich erst unwahrscheinlich spröde entwickelt, weil niemand an das Thema heran wollte und immer wieder diese Schutzbehauptung geäußert wurde“[18] Und Jürgen Marten fügt hinzu: „Am Anfang ist Transparency doch überhaupt nicht ernst genommen worden. Uns kannte ja auch keiner. Wir mussten immer wieder Aufklärungsarbeit leisten, wer wir sind.“[19] Die Diskussion bekommt Auftrieb, als 1995 der Corruption Perceptions Index von Transparency International zum ersten Mal veröffentlicht wird. Interessant für Deutschland war daran laut Lühr vor allem die Wirkung des Index in der bis dahin von Korruptionswahrnehmung unberührten deutschen Öffentlichkeit: „Ein Ranking zu machen, bei dem Deutschland plötzlich nur auf Platz 13 von 41 landete - das war hoch verrucht und seelenlos.“[20]

1995 wird auch über mögliche Kandidaten für einen erstmalig zu besetzenden Beirat diskutiert. Er konstituiert sich am 21. Februar 1996 im Haus der Robert Bosch GmbH in Stuttgart. Auf Vorschlag von Dr. Marcus Bierich, Vorsitzender des Aufsichtsrats von Bosch, wird Dr. Richard Brandtner, ehemaliger Vorstandssprecher der Kreditanstalt für Wiederaufbau, zu seinem Vorsitzenden gewählt. Der Beirat, eine „hervorragende Gruppe wichtiger Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft“[21], besteht aus 19 Mitgliedern. Mit der Schaffung des Beirats verbreitert Transparency seine Arbeitsgrundlage erheblich und kommt dem Ziel, Koalitionen gegen Korruption zu bilden, durch die Einbeziehung von deutschen Wirtschaftsvertretern im neu berufenen Beirat ein Stückchen näher.
 

1996

1996 wird der Beschluss einer OECD-Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger immer konkreter. Und auch Transparency Deutschland verschafft sich dank der Ernsthaftigkeit und Expertise seiner Mitglieder allmählich Gehör bei den entscheidenden Meinungsführern: Am 24. Januar kommt es zu einem Fachgespräch über Korruptionsbekämpfung im renommierten Aspen-Institut in Berlin. Neben Michael Wiehen und Peter Waller von Transparency Deutschland sitzen Vorstandsmitglieder deutscher Unternehmen, OECD-Vertreter, Peter Eigen und der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker am Tisch. Die heterogene Zusammensetzung der Gesprächsgruppe bringt den wichtigen Konsens hervor, dass die sich verbreiternde Korruption schädlich ist und es notwendig macht, dagegen vorzugehen.[22] Auch wenn das Gespräch laut Michael Wiehen „nicht wesentlich für die Unterzeichnung des OECD-Abkommens“[23] ist, so ermöglicht das Treffen Transparency doch, einen Einblick in die Standpunkte der Wirtschaftsvertreter zu bekommen und eine gemeinsame Vorgehensweise in der Korruptionsbekämpfung zu bestimmen. Im zweiten Gespräch im November, das erneut „sehr offen und konstruktiv“[24] verläuft, werden von den OECD-Vertretern auch die neuesten Entwicklungen auf internationaler Ebene thematisiert. Ergebnis: Wichtige OECD-Mitglieder - darunter Deutschland - reagieren sehr zurückhaltend auf die „soft law“-Regelungen der OECD. Die Folge: Es wird versucht, die internationalen Bemühungen in Rahmen der Welthandelsorganisation WTO in einer Konvention zu bündeln, „was effektive Resultate um Jahre verzögern könnte und offensichtlich als Verzögerungstaktik gemeint ist“[25].

1996 wird zudem die Steuerabzugsfähigkeit von innerdeutscher Bestechung grundsätzlich abgeschafft[26] - de jure, muss hinzugefügt werden. In der Realität der Strafverfolger kommt das neue Gesetz nicht an. Das Jahressteuergesetz 1996 bestimmt, dass inländische Bestechungszahlungen nur dann nicht mehr als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen, „wenn aus der Bestechung strafrechtliche Konsequenzen gezogen wurden“.[27] Die Nutzlosigkeit dieser  Bestimmung belegt ein Test, den der Verantwortliche für das deutsche Chapter beim internationalen Sekretariat, Carel Mohn, durchführt. Der Mitglieder-Rundbrief aus jener Zeit rekapituliert: „Allerdings ist seit der vermeintlichen Abschaffung der Absetzbarkeit 1996 aus den Medien kaum zu erfahren, dass für das Gros aller Schmiergeldzahlungen - nämlich jene Masse von Fällen, in denen es nie zu einer Anzeige, geschweige denn einer rechtskräftigen Verurteilung kommt - die Absetzbarkeit weiterhin völlig problemlos und absolut legal möglich ist. Eine Bestätigung dieser den OECD-Empfehlungen von 1994, 1996 und 1997 widersprechenden Rechtslage erbrachte nun - schwarz auf weiß - der Einkommensteuerbescheid ’97 von TI-Mitarbeiter Carel Mohn, in dem unter dem Punkt „Übrige Werbungskosten“ ein Betrag von 300 Mark steuermindernd anerkannt wurde. Hinter diesen ‚Werbungskosten’ versteckte sich eine Erklärung, die Mohn zusammen mit seiner Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht hatte: ‚Hiermit’, so schrieb Mohn, ‚bestätige ich, dass ich in meiner beruflichen Tätigkeit als Pressesprecher von Transparency International am 29. Oktober 1997 eine Zahlung in Höhe von DM 300,- an einen Mitarbeiter der Kommunalverwaltung von Potsdam zur Herausgabe eines dienstlichen Geheimnisses getätigt habe.’ Und das Finanzamt stellte keine Fragen, sondern erkannte - getreu der Rechtslage - auf Steuerabzugsfähigkeit.“[28]

Auch gesellschaftlich bleibt Korruptionsbekämpfung ein Randthema und ist trotz der Unterstützung von Persönlichkeiten wie Richard von Weizsäcker, der sich nach Einschätzung von Michael Wiehen „bis heute uns verbunden fühlt“[29], längst nicht in der breiteren politischen Basis angekommen. Um auf sich aufmerksam zu machen, initiiert Transparency Deutschland 1996 eine Fragebogenaktion an alle Bundestagsabgeordneten. Die Reaktionen auf den Appell, sich für die internationale Korruptionsbekämpfung einzusetzen, sind „sehr ermutigend“[30]: Von 672 angeschriebenen Abgeordneten reagieren 61. Während 15,9% der angeschriebenen SPD-Abgeordneten antworten, sind es aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion nur 1,7%.[31]

Unterdessen fordert die beachtliche Fülle der 1996 initiierten Maßnahmen und Veranstaltungen ihren Tribut bei den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern. Das Protokoll der Vorstandssitzung vom Juli 1996 stellt fest: „Es besteht Einvernehmen, dass dringend Vorstandsmitglieder mit mehr verfügbarer Zeit für die TI-Arbeit gefunden werden müssen. Dafür erscheinen besonders ‚Frühpensionäre’ aus verschiedenen Bereichen geeignet, die wir gezielt identifizieren sollten.“[32] Die Bilanz der Finanzabrechnung 1995/1996, über die Hälfte eines DINA4-Blatts aufgestellt, zeigt derweil 9.907,19DM an Ausgaben und 16.342,00DM an Einnahmen an[33] - zu wenig, um große Sprünge zu machen. Die finanzielle Klammheit des Vereins zeigt sich an der gebetsmühlenartig wiederholten Bitte an alle Mitglieder, ihre Mitgliedsbeiträge zu überweisen. Als am 5. Januar 1996 endlich auch die Eintragung in das Berliner Vereinsregister als gemeinnütziger Verein stattfindet, besteht zudem die Möglichkeit verstärkter Spendeneinwerbungen, um eine finanzielle Basis für die verschiedenen Aktivitäten von Transparency aufzubauen.
 

Die OECD-Staaten machen ernst

Während die OECD-Arbeitsgruppe zu Korruption ihre Vorschläge zur Umsetzung ihrer Empfehlungen in nationales Recht präzisiert, bremst die Bundesregierung ab. Wiederholt lehnt sie Vorschläge der Opposition zur Bekämpfung von Korruption im Ausland ab.[34] Doch der Druck auf die Koalition aus CDU/CSU und FDP nimmt zu: Am 26. Mai beschließt die OECD, dass die Regierungen aller Mitgliedstaaten eine Gesetzesvorlage zur Strafbarkeit der Bestechung ausländischer Amtsträger in ihren jeweiligen Parlamenten bis zum 1. April des nächsten Jahres einbringen müssen. Der Druck der amerikanischen Wirtschaft, die durch den Foreign Corrupt Practices Act schon seit 1977 ohne die Bestechung ausländischer Amtsträger auskommen muss, wird in diesem Beschluss der OECD offenbar. Doch auch europäische Wirtschaftsvertreter verringern die politischen Ausweichmöglichkeiten der Bundesregierung: In einem offenen Brief, der den Wirtschaftsministern der OECD-Länder fünf Tage vor dem Beschluss über die Einbringung eines Gesetzesvorschlags zukommt, sprechen sich sechzehn Führungspersönlichkeiten der größten europäischen Unternehmen deutlich für die gesetzliche Bekämpfung von Korruption aus[35] - der Koalitionsgedanke, den Transparency verfolgt, zeigt seine Schlagkraft. Zusätzlich sagt die OECD zu, Verhandlungen für eine gemeinsame Konvention gegen Korruption „prompt aufzunehmen“.[36] Den Zweifeln am OECD-Doppelbeschluss [37] folgt schnell Erleichterung: Bereits am 17.12.1997 wird die OECD-Konvention gegen Korruption von allen Mitgliedstaaten unterschrieben.

Intern gewinnt Transparency die erste Geschäftsführerin in der Geschichte der Organisation für sich. Vom 1.1.1997 bis zum 30.10.1998 bekämpft Marie Unger-von Reiche den wachsenden Wust an Bürotätigkeiten, der durch die langsame Etablierung von Transparency Deutschland als ernstzunehmender Akteur in der Korruptionsbekämpfung entsteht. Mit der Kommentierung „Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten!“ wird den Mitgliedern zudem die erste E-Mail-Adresse der Transparency-Geschäftsführung vorgestellt.[38]
 

Ein interner Glücksfall

Am vorletzten Tag der Legislaturperiode des Deutschen Bundestags wird „tatsächlich noch“[39] die Ratifizierung der OECD-Konvention beschlossen. Doch das eine Gute bringt nicht das andere Gute hervor: In derselben Sitzung lehnen die Regierungsfraktionen den Antrag der Opposition zur Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Bestechungsgeldern im Ausland ab.[40] Es bleibt die Hoffnung auf den nächsten Bundestag – und die Korruptionsbekämpfer von Transparency Deutschland, die mit Michael Wiehen den ehemaligen Chef von Peter Eigen bei der Weltbank als neuen Vorsitzenden des deutschen Chapters wählen. Wiehen, der den Aufbau einer Anti-Korruptionsorganisation am Anfang skeptisch gesehen hatte, lacht, als er auf seine Motivation zur Mitarbeit angesprochen wird: „Wenn ich von einer Sache denke, dass sie keinen Erfolg haben wird, heißt das noch nicht, das ich nicht mithelfe, es zu versuchen. Ich bin mit Peter Eigen seit vielen Jahren befreundet und hatte ihm von Anfang an gesagt, dass ich mitmache, wenn ich von der Bank pensioniert und wieder in Deutschland bin.“[41] Unter drei Bedingungen stellt Wiehen sich für die Wahl zum Vorsitzenden zur Verfügung: Zum Einen soll der Fokus auf die Bekämpfung von Auslandsbestechung erweitert und die Korruption innerhalb Deutschlands in die Arbeit einbezogen werden. „Wir haben uns bis 1998 auch um deutsche Unternehmen gekümmert, aber nur was sie im Ausland gemacht haben. Was sie im Inland gemacht haben, hat sich der Verein überhaupt nicht angeguckt. Das war das Wichtigste: dass wir uns auf Korruptionsbekämpfung in Deutschland umpolen.“[42] Zum Anderen soll endlich eine Geschäftsstelle eingerichtet werden, um die ehrenamtlichen Mitglieder von der Beschäftigung mit Büroangelegenheiten zu befreien. Drittens muss eine Finanzierungskampagne für Transparency her, in deren Rahmen sich der Verein später nicht nur auf die Werbung von individuellen und korporativen Mitgliedern, die eine Selbstverpflichtung unterschreiben müssen, konzentriert, sondern auch das großartige Instrument der Bußgeld-Verteilung an gemeinnützige Organisationen entdeckt.
 

Die Organisation wird sesshaft

Das Jahr 1999 geht als Meilenstein in die Geschichte von Transparency Deutschland ein: Der Verein hat endlich ein Büro! Was schon im Protokoll der Gründungsversammlung 1993 als Ziel festgelegt wurde, wird mit Michael Wiehen und einer Geschäftsstelle in München endlich wahr. Während inhaltlich bereits auf höchstem Niveau gearbeitet wird, bringt die Einrichtung einer permanenten Anlaufstelle den Verein auf grassroots-Niveau zurück. Der neunte Mitglieder-Rundbrief hält fest: „Telefon, Fax und e-mail standen bei Redaktionsschluss noch nicht fest, da die Telekom zur Zeit Lieferschwierigkeiten für die Endboxen der ISDN-Anschlüsse hat…“[43] Die damalige Geschäftsführerin Anke Martiny, die heute im Vorstand von Transparency tätig ist, erinnert sich an die Anfänge der sesshaft werdenden Organisation: „Michael Wiehen ist erst mal zu einem großen Büroartikelladen gefahren und hat da von Aktenordnern und der Papierschere bis zum Mülleimer alles gekauft.“[44] Zur Finanzierung des Büros erinnert die ehemalige Geschäftsführerin: „Wir hatten überhaupt kein Geld damals. Das Büro waren eineinhalb untergemietete Zimmerchen bei einem Steuerberater. Wobei das halbe Zimmer nur ein ganz schmaler Schlauch war, in dem das Faxgerät stand. Und die ganze Wand war voll von Aktenordner von dem Menschen, dem das Büro gehörte. Wir müssen jedenfalls wahnsinnig wenig Miete gezahlt haben. Und die Einrichtung war auch sperrmüllverdächtig. Wenn wir Besuch hatten - ich glaube, wir hatten nur zwei Stühle. Vielleicht hatten wir noch einen dritten. Jedenfalls: Es war unmöglich, jemanden zu empfangen.“[45]

Die eigentliche Banalität des Ereignisses, mit einem Büro nun endlich an organisatorischer Infrastruktur gewonnen zu haben, wird erst vor dem Hintergrund politischer Umwälzungen deutlich: 1999 werden die Karten auf dem Feld der internationalen Korruptionsbekämpfung neu gemischt. Die OECD-Konvention „zur Kriminalisierung der Bestechung ausländischer Amtsträger“[46], wie Michael Wiehen es ausdrückt, ist von genügend Mitgliedstaaten ratifiziert worden und tritt in Kraft. Von nun an ist die Bestechung ausländischer Amtsträger in Deutschland endgültig rechtskräftig verboten. Nicht nur Siemens wird im Laufe der Jahre über das neue Gesetz stolpern.

Bei einem Besuch im Bonner Bundestag erreichen Michael Wiehen und Anke Martiny zudem, dass die Bemühungen der Korruptionsbekämpfung in Deutschland im Rahmen der Ratifizierung der OECD-Konvention um einen entscheidenden Punkt ergänzt werden. Bei „einer der Besuchstouren, die wir gemacht haben, um die steuerliche Absetzbarkeit von Bestechungsgeldern zu Fall zu bringen“[47] (Anke Martiny), treffen sie sich mit Ludwig Stiegler und Ingrid Matthäus-Meier, der damaligen finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, in der Lobby des alten Bundestags. Michael Wiehen: „Wir haben ihr [Matthäus-Meier] gesagt, dass der Gesetzentwurf, den ihre Kollegen ihr vorgelegt haben, unvollständig ist und ein ganz wesentlicher Punkt fehlt. Bei der Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit fehlte der Punkt, dass Steuerbehörden und Staatsanwälte sich einander gegenseitig informieren müssen, wenn sie Hinweise auf Korruption haben. Dann hat sie gesagt, und das ist kaum glaubhaft, aber sie sagte: ‚Herr Wiehen, wenn Sie mir bis morgen früh um 9 Uhr einen Entwurf vorlegen, dann werde ich sehen, was ich machen kann. Das war am Nachmittag um sechs. Und am nächsten Morgen um 9 hatte sie das auf dem Schreibtisch liegen. Und am Mittag um 12 war es Gesetz in Deutschland. Ohne uns wäre diese gegenseitige Hinweispflicht nicht im Gesetz erschienen. Das hätte man vielleicht ein Jahr später reinsetzen können, aber ob das passiert wäre, ist fraglich. Wir haben damit unmittelbar, hautnah die Gesetzesformulierung beeinflusst.“ Wiehen fügt hinzu: „Wir haben das nie sehr laut verkündet, weil wir dachten, dass das für Frau Matthäus-Meier und ihre Kollegen vielleicht nicht besonders positiv ist, wenn sie jetzt zugeben müssen, dass sie von außen etwas sehr schnell akzeptiert und übernommen haben.“[48]
 

Ausblick

Heute steht das Thema Korruption wie selbstverständlich auf der Agenda von Wirtschaft, Politik und Medien. Täglich sind Schlagzeilen zu finden, die sich mit der strafrechtlichen Verfolgung von Bestechung und Bestechlichkeit auseinander setzen. Mit beständigem Einsatz haben die Korruptionsbekämpfer von Transparency Deutschland für mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gesorgt und die Zivilgesellschaft für das Gefährdungspotential von Korruption sensibilisiert. Die Mitgliederzahl ist auf mehr als 1000 angestiegen, und in der Geschäftsstelle, die zum 1. Januar 2003 (ohne das sperrmüllverdächtige Mobiliar) nach Berlin gezogen ist, sind mittlerweile sechs Personen beschäftigt. Der Erfolg der Organisation gründet auf Enthusiasmus, ehrenamtlichem Engagement und der Erkenntnis, dass Korruption die demokratische Staatsordnung schwächt und den wirtschaftlichen Leistungswettbewerb durch einen versteckten Wettbewerb der Bestechung verdrängt. Der Grundstein dafür ist 1993 gelegt worden.

Maria Schröder


[1] Eigen (2003), Das Netz der Korruption, S. 35.
[2] Ebd., S. 27.
[3] Ebd., S. 45.
[4] Interview mit Hans-Peter Lühr, 17.09.2008
[5] Interview mit Peter Waller, 10.09.2008
[6] Interview mit Jürgen Marten, 12.08.2008
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Interview mit Peter Waller, 10.09.2008
[10] Protokoll der Mitgliederversammlung von Transparency Deutschland, 16.02.1995
[11] Protokoll der Mitgliederversammlung von Transparency Deutschland, 16.02.1995
[12] Interview mit Jürgen Marten, 12.08.2008
[13] Protokoll der Mitgliederversammlung von Transparency Deutschland, 16.02.1995
[14] Ebd.
[15] Protokoll der Mitgliederversammlung von Transparency Deutschland, 16.02.1995
[16] Mitgliederrundbrief Nr. 1, Februar 1996, S. 1.
[17] Interview mit Hans-Peter Lühr, 17.09.2008
[18] Ebd.
[19] Interview mit Jürgen Marten, 12.08.2008
[20] Interview mit Hans-Peter Lühr, 17.09.2008; CPI von 1995 abrufbar unter www.transparency.org/policy_research/surveys_indices/cpi/previous_cpi__1
[21] Mitglieder-Rundbrief Nr. 1, Februar 1996, S. 2.
[22] Mitglieder-Rundbrief Nr. 1, Februar 1996, S. 2
[23] Interview mit Michael Wiehen, 15.08.2008
[24] Mitglieder-Rundbrief Nr. 3, November 1996, S. 1.
[25] Ebd.
[26] Mitglieder-Rundbrief Nr. 1, Februar 1996, S. 1.
[27] Mitglieder-Rundbrief Nr. 6, Januar 1998, S. 1.
[28] Mitglieder-Rundbrief Nr. 8, Oktober 1998, S. 3.
[29] Interview mit Michael Wiehen, 15.08.2008
[30] Mitglieder-Rundbrief Nr. 1, Februar 1996, S. 2.
[31] Mitglieder-Rundbrief Nr. 2, September 1996, S. 1.
[32] Protokoll der Vorstandssitzung vom 27.07.1996
[33] Finanzabrechnung 1995/1996
[34] Mitglieder-Rundbrief Nr. 4, März 1997, S. 2.
[35] www.transparency.org/news_room/latest_news/press_releases/1997/1997_05_21_euopen (04.10.2008)
[36] Mitglieder-Rundbrief Nr. 5, August  1997, S. 3.
[37] Ebd.
[38] Mitglieder-Rundbrief Nr. 5, August  1997, S. 10
[39] Mitglieder-Rundbrief Nr. 7, Juli 1998, S. 1.
[40] Ebd.
[41] Interview mit Michael Wiehen, 15.08.2008
[42] Interview mit Michael Wiehen, 15.08.2008
[43] Mitglieder-Rundbrief Nr. 9, Februar 1999, S. 8.
[44] Interview mit Anke Martiny, 12.08.2008
[45] Ebd.
[46] Mitglieder-Rundbrief Nr. 9, Februar 1999, S. 1.
[47] Interview mit Anke Martiny, 12.08.2008
[48] Interview mit Michael Wiehen, 15.08.2008