Publikationen
Rezension

Carsten Frerk: Kirchenrepublik Deutschland

Alibri Verlag, Aschaffenburg 2015, ISBN 978-3-86569-190-3, 303 Seiten, 18 Euro

Frerk greift ein in der öffentlichen Debatte vernachlässigtes Thema auf, das jüngst mit einem Teilaspekt (Staatsleistungen an Kirchen) Gegenstand eines Antrages der Fraktion Die Linke war: Entsprechen Rolle und Einfluss der christlichen Kirchen dem Grundgesetz? Frerk verneint dies und bietet dafür beachtliche Argumente. Er stellt die wichtige Frage, woher die Kirchen ihre demokratische Legitimation nehmen, weite Bereiche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens allgemein gültigem Recht zu entziehen. Dem ursprünglichen Willen, wie er noch in der Weimarer Reichsverfassung zum Ausdruck kam, allgemeines Recht sei auch für Kirchen verbindlich, ist die Staatspraxis nach dem Grundgesetz nicht mehr gefolgt. Hieraus ergeben sich auch Besonderheiten, die mit Glaubensfragen kaum ausreichend begründet werden können. Die Kirchen gelten als größter Grundbesitzer (laut Frerk rund 825 000 Hektar, Wert 170 Milliarden Euro) und ihr Umsatz soll großer sein als der der Automobilindustrie. Gewichtig sind auch Frerks Bedenken, die sich auf das „Sonderrecht“ für sogenannte kirchliche Arbeitsplatze beziehen. Deren Anzahl in Kitas, Krankenhäusern etc. wird auf 1,8 Millionen geschätzt. Dass dies politisch und rechtlich abzulehnen ist, zeigt folgende Überlegung: Wenn wir konsequent gleiche Rechte für alle Religionsgemeinschaften einführten (und das Grundgesetz unterscheidet nicht zwischen Religionsgemeinschaften „erster“ und „zweiter Klasse“), dann Ware auch hinzunehmen, was zum Beispiel einzelne muslimische Gemeinschaften aus dem Koran herauslesen. Frerk gibt – trotz mancher Überzeichnung im Detail – wichtige Hinweise, warum unsere Wirklichkeit sich in einigen Punkten vom ursprünglichen Ziel der Staatsneutralitat allen Glaubensrichtungen gegenüber entfernt hat und das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes nicht (mehr) korrekt abbildet. Wer diese Debatte nicht fuhren will, verkennt die Brisanz einer verweigerten Anpassung. Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich irgendwann die Wirklichkeit; Kirchenaustritte und die (abnehmende) Zahl der Taufen sprechen ihre eigene Sprache… Allerdings leidet Frerks Darstellung teilweise unter länglichen Aufzahlungen von Personalien in Bundes- und Landesministerien sowie regionalen „Kirchen Büros“, die wenig Erhellendes zu seiner eigentlichen Kritik beitragen. Personelle Seitenwechsel zwischen kirchlichen Dienststellen und Ministerien seien kritisch, wenn sie allgemein geltende Regeln verletzten. Hier sogleich den Dunstkreis der Korruption zu wittern erscheint übertrieben. Ebenso ist die Auffassung Frerks zweifelhaft, dass die Einbeziehung der Kirchen in Gesetzentwurfe schon unzulässiger Lobbyismus sei. Schließlich werden ja (mit guten Gründen) auch Gewerkschaften, Arbeitgeberverbande, Naturschutzverbande und andere zeitgleich und in gleichem Umfang einbezogen. Eine erneuerte, vorurteilsfreie Debatte, ob Deutschland eine „Kirchenrepublik“ ist, muss geführt werden.  

 

(Konrad Stege)

 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers/der Verfasserin wieder.