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Die „Freiwillige Selbstkontrolle“ der Pharmaindustrie hat versagt – der Gesetzgeber ist gefordert

Berlin, 05.11.2019 – Kommentar von Rolf Kühne, Mitglied der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen von Transparency Deutschland

© Sharon McCutcheon / Unsplash

Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass ärztliche Entscheidungen patientenorientiert nach wissenschaftlichen und ethischen Grundsätzen und nicht primär nach monetären Interessen erfolgen. Ob dies immer der Fall ist, darf bezweifelt werden, denn finanzielle wie nicht-finanzielle Interessenkonflikte von Ärztinnen und Ärzten sind weit verbreitet. So lange sie das Urteilsvermögen und Handeln nicht verzerren, sind sie unproblematisch. Durch viele Studien ist aber belegt, dass zum Beispiel Zuwendungen eines Pharmaunternehmens zu einer bevorzugten Verschreibung der von diesem Unternehmen beworbenen Arzneimittel führt. Ein Schaden für den Patienten kann immer dann entstehen, wenn es wirksamere oder bei identischer Wirksamkeit nebenwirkungsärmere oder preisgünstigere Arzneimittel gibt.

Transparenz von Interessenkonflikten ermöglicht, medizinische Empfehlungen kritisch zu hinterfragen und besser einzuordnen. In den USA ist mit dem „Physician Payments Sunshine Act“ (PPSA) seit 2014 gesetzlich geregelt, dass jede Art finanzieller Zuwendung an Ärztinnen und Ärzte durch die Industrie oberhalb einer Bagatellgrenze von 10 US-Dollar pro Jahr in einer allgemein zugänglichen Datenbank veröffentlicht werden muss. In Deutschland haben die Delegierten des 116. Ärztetag die Offenlegung aller Zuwendungen der Industrie – orientiert am PPSA – gefordert. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat sich mehrfach für eine verpflichtende Transparenz ausgesprochen, zuletzt im Deutschen Ärzteblatt vom 22. Februar 2019. Leider hat sich der Gesetzgeber taub gestellt.

Immerhin wurde ein Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.“ (FSA) gegründet, der seit 2015 Zahlungen von FSA-Mitgliedsunternehmen an Angehörige der Fachkreise und medizinische Einrichtungen veröffentlicht. Lediglich 55 forschende Arzneimittelhersteller legen seitdem die Zahlen vor, während kleinere Unternehmen, die Generika-Hersteller und die Medizinprodukte-Industrie, die insgesamt über 90 Prozent aller Hersteller ausmachen, außen vor bleiben. Darüber hinaus wird die selbst-attestierte Transparenz dadurch ad absurdum geführt, dass alle ärztlichen Zuwendungsempfänger vorher einer Veröffentlichung zustimmen müssen. Das erwartete Ergebnis: 2017 stimmten nur 20 Prozent zu!

In einer gemeinsamen Recherche haben DER SPIEGEL und die Recherchegruppe CORRECTIV die verstreut im Internet platzierten Angaben der oben genannten Hersteller in einer einzigen Datenbank („Euros für Ärzte“) transparent zusammengeführt. Obwohl die Beteiligten einer Veröffentlichung im Vorfeld zugestimmt hatten, wurden DER SPIEGEL und CORRECTIV mit über 300 Klagen gegen diese Veröffentlichungen überhäuft. Die Kläger sahen sich im Fokus einer negativen öffentlichen Wahrnehmung, während die Kolleginnen und Kollegen, die einer Publikation ihrer Pharma-Honorare widersprachen (80 Prozent!), ungeschoren davon gekommen seien. In allen bisherigen Entscheidungen wurden die Klagen als unbegründet zurückgewiesen.

Wir brauchen eine umgehende gesetzliche Regelung einer verpflichtenden Veröffentlichung aller industriellen Zuwendungen an Ärztinnen und Ärzte sowie medizinische Institutionen. Dabei muss gewährleistet sein, dass die Daten aggregiert für alle Firmen auf einer einzigen Webseite dargestellt werden und die Nichtmeldung mit hohen Strafzahlungen verbunden ist.